Ausstieg aus der Tierindustrie - zum Vortrag von Dr. Friederike Schmitz

von Katarina Heidrich

Am Dienstag, den 29.06.2021, hielt Dr. Friederike Schmitz einen Online-Vortrag über die wichtigsten Gründe, warum wir unsere Ernährungweise umstellen müssen. Sie ist Autorin, Referentin, Tierethikerin, Mitbegrüderin des Vereins Mensch Tier Bildung und engagiert sich im Bündnis Gemeinsam gegen die Tierindustrie. Das Bündnis setzt sich für eine solidarische und ökologische Agrarwende ein und hat in einer Studie untersucht, wie viele öffentliche Gelder in die Tierwirtschaft fließen. Kleiner Spoiler: Es sind eine Menge.

Die Massenproduktion von Fleisch, Milch und Eiern trägt maßgeblich zur Klimakrise bei. Zusätzlich bedeutet sie massives Leid für hunderte Millionen Tiere allein in Deutschland, verursacht Umweltschäden und Gesundheitsrisiken. Und das noch nicht genug - in der Tierwirtschaft werden Arbeiter:innen ausgebeutet (wie der Tönnies-Fall jüngst zeigte) und immer mehr Landwirt:innen in Existenznot gebracht. Trotzdem ist der Konsum tierischer Produkte nach wie vor “ein heißes, kontroverses Thema, das uns aber alle als Gesellschaft angeht. Nicht zuletzt, weil wir alle von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sind”, so die Vortragende.

Deshalb müssen auch alle gemeinsam - Verbraucher:innen, Landwirt:innen und Politik - an einen Tisch und gemeinsam Lösungen finden, wie wir den Ausstieg aus der Tierindustrie schaffen. Für das Bündnis bedeutet das einen drastischen Abbau der Tierbestände um 80% bis 2030, bis hin zur kompletten Abschaffung der industriellen Nutztierhaltung. Da dieser Bereich fast die gesamte Nutztierhaltung bestimmt, ist damit schon viel getan. Auch, was den Rest angeht - etwa Weidetierhaltung - gibt es Diskussionen innerhalb des Bündnisses.

Die Gründe für den Ausstieg liegen auf der Hand: Der weltweite Treibhausgas-Beitrag durch die industrielle Tierhaltung beträgt 14,5% (und das ist nur die konservativste Schätzung). Für die Erzeugung tierischer Lebensmittel wird immer mehr Fläche und mehr Wasser benötigt. Denn die Nahrungsmittel, die dort an die Tiere verfüttert werden, könnten auch direkt der menschlichen Ernährung dienen. Und damit könnten folglich von der gleichen Ackerfläche mehr Menschen ernährt werden. Das nennt sich “Veredelungsverlust”. 

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Beste Bedingungen für neue Pandemien

Die globale Tierhaltung beansprucht über 80% des Agrarlandes, liefert aber gleichzeitig nur 18% der Kalorien und 37% der Proteine, die wir konsumieren. Wenn sich alle Menschen vegan ernähren würden, könnten 12% der Agrarfläche eingespart werden. Zudem treibt der steigende Flächenbedarf für Tierhaltung und Futtermittel die Entwaldung voran. Große Teile des Amazonas-Regenwaldes etwa fallen Rinderweiden und Sojaplantagen zum Opfer. Das trägt wiederum maßgeblich zum Klimawandel bei.

In Deutschland könnten durch nationalen Veganismus 40% der Ernährungs-Treibhausgase eingespart werden. Einen Teil der Flächen könnten wir dazu nutzen, mehr Lebensmittel regional anzubauen, die wir bisher stark importieren. Dazu kommt das sogenannte Einlagerungspotenzial: Flächen, die renaturiert werden könnten und somit dem Klimaschutz dienen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die menschliche Gesundheit. Die Tierindustrie ist ein großer Risikofaktor für die Entstehung neuer Pandemien. “Die steigende Nachfrage nach Tierprodukten und die unnachhaltige Agrarwirtschaft sind die besten Bedingungen für neue Viren”, warnt Friederike Schmitz. Enge Ställe, wenig oder kein Auslauf für die Nutztiere und die immer weiter fortschreitende Einengung der Lebensräume von Wildtieren können in Zukunft immer öfter Auslöser für Pandemien mit Millionen Toten sein.

Ein Punkt, der häufig etwas untergeht neben den nackten Zahlen und Statistiken: die Tierethik. Dabei übersehen wir, dass wir bereits einen Konsens in der Gesellschaft haben. Nämlich, dass man Tieren nicht ohne guten Grund Leid oder Schmerzen zufügen sollte. Doch genau das passiert in der Nutztierhaltung. Es ist ein paradoxes Problem: 66% der Befragten geben in Studien an, dass sie mehr Geld für besseres Fleisch ausgeben würden, weniger als 20% taten das dann auch tatsächlich in einer Studie der Hochschule Osnabrück. 

85% der Deutschen sagen, dass die Tiere wenigstens eins gutes Leben haben sollen, bevor sie für uns sterben müssen. Aber was ist ein gutes Leben? In keiner Form der Nutztierhaltung kann ein Tier das Leben führen, dass seiner eigentlichen Natur entspricht. Nutztiere können oft ihre eigenen Kinder nicht großziehen, haben keinen Platz, keine Beschäftigungsmöglichkeit, kein soziales Miteinander.

Bauern zu Verbündeten

Warum sollen wir dann überhaupt Tiere halten, töten, essen, wenn wir es nicht müssen? Und warum sollen wir öffentliche Gelder in eine Industrie hineinpumpen, die nicht nachhaltig und gleichzeitig ausbeuterisch agiert? Das Bündnis Gemeinsam gegen die Tierindustrie hat in einer Studie berechnet, dass allein für die Produktion und den Konsum von Fleisch, Milch, Eiern mehr als 13 Milliarden Euro im Jahr in die Tierwirtschaft fließen - von Steuererleichterungen bis zu direkten Subventionen.

Deshalb fordern sie die Umleitung der Subventionen in Klimaschutz und Biodiversität, die Reduktion der Tierbestände, die Ernährungswende auch in Lehre und Forschung festzuschreiben, eine ehrliche ethische Diskussion und gute Alternativen für Beschäftigte und Landwirt:innen. Ausstiegsprogramme und Strukturhilfen - ähnlich wie sie es ja auch beim Kohleausstieg gibt - können Existenznöte und -ängste abbauen. Als Vorbild könnten die Niederlande dienen, die ein Aussteigerprogramm für Schweinehalter ins Leben gerufen haben: https://www.agrarheute.com/tier/schwein/hofaufgabe-ueber-400-schweinehalter-steigen-570464

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