BEK 2030: Scheitert die amtliche Berliner Klimapolitik wieder einmal an sich selbst?

von Stephan Führ

Zur Novelle des Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms (BEK 2030) und dem notwendigen Druck der Öffentlichkeit

Jeder kennt sie: Sätze wie „Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“ Allgemein als Floskeln entlarvt, gibt es doch ganz besondere Momente, in denen sich der diesen Sätzen innewohnende Zynismus von ganz allein offenbart. Dann nämlich, wenn sie plötzlich einen konkreten Bezug erfahren.

Was genau ist passiert? Am 20. Dezember wurde eine wichtige Forderung nach §4 des Berliner Energiewendegesetzes (EWG Bln) erfüllt. Der Senat einigte sich, wenngleich auch wieder mal später als gesetzlich festgelegt, auf einen 380 Seiten umfassenden Entwurf des für den Umsetzungszeitraum 2022-2026 überarbeiteten Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms (BEK 2030). Wichtig dabei festzuhalten: Dieses Dokument ist damit längst nicht final, sondern geht zunächst in seine vorerst letzte, entscheidende Runde – die Beratung und eventuelle Verabschiedung durch das Berliner Stadtparlament. Aber dazu später mehr!

Meisterstück oder doch 2. Liga

Bis heute vielfach missverstanden oder gänzlich übersehen, ist das BEK 2030 schon seit 2017 das eigentlich wichtigste und stärkste Klimaschutzinstrument der Berliner Landespolitik. Seine Grundidee ist, die zunächst in ihrem Wesen immer nur politisch festgelegten Klimaschutzziele in ganz konkrete Maßnahmen - also Handlungsinhalte - und in alle Verwaltungs- und Gesellschaftsebenen zu übersetzen. Allen in Berlin lebenden Menschen ist dafür die Möglichkeit einzuräumen, sich an dessen Entstehung zu beteiligen. Hinter jeder, jeweils nur für eine Legislatur gültigen Fassung dieses Papiers, steht also jedesmal ein intensiver und maximal auf ein Jahr anzulegender Prozess, der verschiedene Ebenen durchläuft und dabei grundlegend offen und demokratisch gedacht ist um zu einem konsensfähigen Ergebnis zu führen. 

Das Grundkonzept des BEK bietet also klare Chancen, ist aber natürlich auch nicht frei von Widersprüchen und Fehlern in seiner Konstruktion. Denn seine Vielschichtigkeit macht es ebenso stark wie manipulierbar in vielen Punkten, insbesondere dann, wenn die geforderte Beteiligung Aller schlecht umgesetzt oder sogar verwehrt ist. Und wenn es an der dafür nötigen Transparenz und politischen Kontrolle mangelt. Die Wirkkraft des BEK entscheidet sich also wesentlich - und jedesmal neu - über den Prozess seiner Entstehung. 

Start mit schlechtem Vorzeichen

Nun ist bekannt, dass das Ergebnis und die zugrundeliegenden Prozesse aus dem ersten Umsetzungszeitraum des BEK 2030 (2017-2021) noch lange nicht optimal waren. Im Zusammenhang mit dem nun vorliegenden Entwurf zur neuen Fassung wollte man deshalb viele der alten Fehler eigentlich nicht nochmal begehen.

Dieser Versuch wackelte jedoch bereits sehr früh! Unsere Enttäuschung über den eingeschlagenen Weg der Beteiligung machten wir zusammen mit anderen Initiativen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung z.B. bereits im Frühjahr 2022 zum Thema eines offenen Briefs. Die Ergebnisse der durchlaufenen Beteiligung waren am Ende dann dank einer inzwischen erhöhten Aufmerksamkeit für das Thema Klimaschutz zunächst doch irgendwie richtungsweisend und ließen immerhin auf ein deutlich verbessertes BEK 2030 hoffen.

In einem zentralen Punkt allerdings zeigte sich bereits mit dem im Juni 2022 vorgestellten Abschlussbericht zum Beteiligungsprozess ein klarer Bruch mit den durch die Politik gegebenen Versprechungen zur Verbesserung der Überprüfbarkeit der Wirksamkeit des BEK auf Grundlage eines einzuhaltenden Emissionsbudgets für schädliche Klimagase. Die zugrundeliegenden Formulierungen des EWG Bln und des  Koalitionsvertrags 2021 ließen diesbezüglich bereits wenig erwarten.

Um die nach §4, Absatz 2, Satz 2, Nr. 1, 4 und 5 EWG Bln bestehenden Anforderungen an das BEK zu erfüllen, kam das Emissionsbudget im Zuge des Beteiligungsprozesses thematisch durchaus schon frühzeitig auf die Agenda. Bis zuletzt wollte oder sollte das dafür zuständige Wuppertal Institut aber keine eindeutige Einordnung der sich aus den vorgeschlagenen Reduktionspfaden ergebenden Emissionsmengen im Verhältnis zu einem Berlin klar zuzuordnenden Anteil am globalen CO2-Restbudget liefern. Einer Diskussion darüber wurde im Rahmen des durchlaufenen Prozesses trotz anfänglicher Ankündigung und späterer nachdrücklicher Einforderung durch die Öffentlichkeit (hier über die Beteiligungsplattform mein.berlin dokumentiert) bis zuletzt ausgewichen. Die finalen Formulierungen zu den Reduktionspfaden kamen damit nicht wirklich auf der Grundlage eines breiten öffentlichen Diskurses zustande, sondern wurden am Ende allein durch das im Auftrag der Senatsverwaltung stehende Beteiligungskonsortium definiert. 

Hoffen, dass es niemand merkt

Mit dem jetzt vorliegenden Senatsentwurf verliert sich die enthaltene Einordnung zum mittelfristigen CO2-Budget (Kapitel F) nunmehr sogar noch stärker im Vagen. Auch darin findet sich die klare Weigerung zur Festlegung eines Berliner CO2-Restbudget für den Gesamtzeitraum - 2020 bis hin zur angestrebten Klimaneutralität in 2045. Im BEK ist damit zwar nun das durch das EWG Bln geforderte Emissionsbudget für den 5-Jahreszeitraum ausgewiesen. Klar einordnen - gegenüber dem ausgewiesenen Gesamtreduktionpfad - lässt es sich damit allerdings nicht. Geliefert wird diesbezüglich lediglich eine Illusion. Denn auf Grundlage der sich über den definierten Reduktionspfad ergebenden Berliner Gesamtemissionen ist tatsächlich keines der in den dargestellten Tabellen suggerierten 1.5°C Budgetszenarien realistisch erreichbar und damit jedes weiter abweichende Ziel frei interpretierbar.

Resultierende Emissionsmengen nach BEK 2030 Entwurf und dessen Einordnung gegenüber der 1,5 Grad-Grenze
Resultierende Emissionsmengen nach BEK 2030 Entwurf und dessen Einordnung gegenüber der 1,5 Grad-Grenze

Jeder, der sich mit dem Thema Klimaschutz befasst und sich in dessen Verantwortung sieht, weiß im Grunde um die Bedeutung einer solchen Einordnung zum globalen Restbudget. Das Ansinnen des BEK 2030 erhält damit einen weiteren deutlichen Kratzer. So lohnt es sich auch kaum länger, über die in unseren Augen nicht gegebene Eignung des vorgeschlagenen Monitorings zu den definierten Emissionspfaden zu diskutieren. Die daraus absehbar resultierenden Nachlaufzeiten von wahrscheinlich eher drei Jahren sind deutlich zu lang!

Die Verantwortung zum Korrektiv liegt bei der gewählten Politik

Ohne eine grundlegende Nachbesserung des aktuellen Wortlauts des BEK 2030 zum Emissionsbudget lässt sich jedenfalls - anders als mit den im EWG Bln definierten Anforderungen beabsichtigt - weiterhin keine wirkliche Verbindlichkeit zur Umsetzung hinreichender Klimaschutzmaßnahmen herstellen, da es an der Benennung eines klaren Restbudgets für den Gesamtzeitraum bis zur Klimaneutralität mangelt. Der vom Senat vorgelegte Entwurf des BEK soll nun am 12. Januar im Zuge der 24. Plenarsitzung wahrscheinlich erstmals im Abgeordnetenhaus beraten werden. Die Abgeordneten aller Fraktionen wären damit aufgerufen, ihre im BEK-Prozess vorgesehene Kontrollfunktion ernst zu nehmen und entsprechend darüber zu entscheiden, inwiefern sich die aktuelle Fassung tatsächlich noch innerhalb des durch das EWG Bln vorgegebenen rechtlichen Rahmens bewegt.

Gleichzeitig sind sie dazu aufgerufen, das gegenwärtig laufende und sich bereits über viele Jahre hinziehende Ping-Pong-Spiel rund um das Emissionsbudget endgültig zu beenden. Idealerweise dadurch, dass die Abgeordneten selbst, auf Grundlage der dafür durchaus verfügbaren Empfehlungen, eine Festlegung zu einem Paris-konformen Berliner CO2-Restbudget treffen. Denn diese Verantwortung kann ihnen tatsächlich weder die Wissenschaft noch die Verwaltung abnehmen, da es beiden an dem dafür nötigen, durch demokratische Wahlen legitimierten Mandat fehlt. 

Die Gesellschaft ist längst weiter

Zwar mag aus ganz eigenen Motiven manch einem Abgeordneten möglicherweise die schnelle Zustimmung zum gegenwärtigen Entwurf des BEK als opportun erscheinen. Fakt ist allerdings, dass die Legitimation der Politik zur Fortschreibung der Berliner Klimapolitik dadurch keinesfalls wachsen würde. Sowohl die über die beiden Online-Beteiligungsprozesse zum BEK 2030 dokumentierten Beiträge der Berliner Öffentlichkeit, als auch die Empfehlungen des Berliner Klima-Bürger:innenrat haben deutlich gezeigt, dass die in Berlin lebenden Menschen die Dringlichkeit einer ambitionierten Klimapolitik bereits heute verstanden haben und diese einfordern. Das spiegelt sich leider bisher nicht gleichermaßen in den Maßnahmeninhalten wider, auf die sich die Berliner Landesregierung auch mit dem neuen BEK 2030 einigen konnte.

In diesem Sinne wirkt auch die vom Senat verfasste Stellungnahme zur Berücksichtigung der Empfehlungen des Berliner Klima-Bürger:innenrat im Rahmen des BEK an vielen Stellen peinlich konstruiert. Denn es fällt in Wahrheit nicht schwer zu erkennen, welchem Grad an Interpretation der real vorhandene Wortlaut der Maßnahmendefinition aus dem aktuellen BEK-Entwurf unterzogen werden musste, um eine größtmögliche inhaltliche Übereinstimmung zu behaupten.

Eine weitere kritische Auseinandersetzung mit dem BEK 2030 ist damit gewiss. Die Klimaliste Berlin wird diesen Prozess weiter aus Kräften unterstützen. Sollte die Korrektur der hier angesprochenen grundsätzlichen Konstruktionsfehler des neuen BEK jedenfalls unterbleiben, fiele dem anstehenden Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“ am 26. März 2023 eine noch größere Bedeutung zu, als ohnehin. 


Quellen und Referenzen

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