Wie wir intuitiv und wertschätzend mit Lebensmitteln umgehen - Ein Vortrag von Sophia Hoffmann

von Ronja Heinemann

Am letzten Donnerstag, den 17.06.21., hat Sophia Hoffmann uns mit einem Value-Talk zum intuitiven und wertschätzenden Umgang mit Lebensmitteln inspiriert. Sie gewährte uns einen Einblick in ihre Arbeit und gab uns praktische Tipps zur Vermeidung von Abfällen (insbesondere im Bereich von Lebensmitteln) für die Umsetzung im Alltag. Sophia ist Köchin, Aktivistin, Autorin, Feministin, Müllvermeiderin und setzt sich für eine bessere Welt ein. In ihrem aktuellen Buch „Die kleine Hoffmann“ erklärt sie, wieso es beim Kochen so wichtig ist, auf die Sinne zu achten und wie wir lernen können, intuitiv leckere, gesunde und pflanzenbasierte Speisen zuzubereiten.

Obwohl auch abends die Temperaturen noch über 30°C lagen, hat sich eine Gruppe aus interessierten und begeisterten Menschen online zusammengefunden, um Sophias Erzählungen über die Zero-Waste-Küche zu lauschen und mit ihr ins Gespräch zu kommen. Nachdem Sophia uns einen Überblick über ihre Arbeit gegeben hatte, zeigte sie uns verschiedene Mittel und Wege auf, wie Lebensmittelreste zu neuen Lebensmitteln gemacht werden können und wie wir diese Tipps leicht in den Alltag integrieren können. Es war eindeutig zu spüren, dass es sich bei Sophias Arbeit mehr um eine Berufung als um einen Beruf handelt und ihre Begeisterung für Lebensmittel im Allgemeinen und die Wiederverwertung von vermeintlichen Resten im Speziellen ist schnell auf das Publikum übergesprungen. Besonders fasziniert hat mich die Idee, altes ausgetrocknetes Brot zum Backen zu verwenden. Darauf war ich noch nie von alleine gekommen und habe es anschließend gleich ausprobiert. Statt frischen Mehls habe ich für eine Mangold-Quiche am Wochenende einen alten Bagel und ein altes Brötchen im Boden verarbeitet. Der Unterschied war überhaupt nicht zu merken. Künftig weiß ich, was ich mit alten Brotresten zu tun habe. Danke, Sophia! 

Doch jetzt zu den etwas politischeren Themen. Der Talk wurde von Julia Stark (Spitzenkandidatin im Bezirk Tempelhof-Schöneberg) moderiert. Mit ihrer Aussage "Essen ist politisch" traf sie den Nagel bereits direkt auf den Kopf. Wir betreiben einen riesigen Aufwand, um Lebensmittel zu optimieren und bereitzustellen: wir transportieren sie von A nach B (und teilweise auch wieder zurück), machen sie mit Zusätzen oder anderen Mitteln länger haltbar, passen ihr Aussehen und ihre Form an und werfen sie am Ende nichtsdestotrotz zur Hälfte weg. Dass wir mit Sinnen ausgestattet sind, die uns sehen, riechen und schmecken lassen, ob Lebensmittel noch genießbar sind oder nicht, scheint in unserer schnelllebigen Konsumgesellschaft komplett vergessen. Wir vertrauen lieber dem aufgedruckten Haltbarkeitsdatum und werfen alles weg, was dieses Datum auch nur leicht überschritten hat. Dass es sich bei dem Mindesthaltbarkeitsdatum aber tatsächlich um das handelt, was der Name aussagt, nämlich um ein Datum bis zu dem die Lebensmittel MINDESTENS haltbar sind und nicht um ein Datum, ab dem die Lebensmittel sofort tödlich sind, ist vielen Menschen nicht mehr klar. Sophia klärte uns darüber auf, dass die Produzent:innen von Lebensmitteln das Mindesthaltbarkeitsdatum selbst festlegen. Um sich vor Beschwerden zu schützen, möglichst viele Produkte zu verkaufen und somit die Gewinne zu maximieren, reduzieren die Produzent:innen die Zeitspanne, in der ein Produkt „mindestens haltbar ist“ auf ein Minimum. Dass nach Überschreiten des Mindesthaltbarkeitsdatums (wenn überhaupt) meist nur leichte Veränderungen der Textur, des Geschmacks oder des Aussehens auftreten spielt für die Produzent:innen keine Rolle. Dabei reicht es oft aus, den Sojajoghurt einmal umzurühren, den Saft einmal zu schütteln oder die Kekse einmal kurz aufzubacken, um die Produkte wieder in den Originalzustand zurückzuversetzen. Bei anderen Lebensmitteln wie Reis, Nudeln, Soßen, öligen oder in Essig eingelegten Produkten kann das Datum laut Sophia komplett ignoriert werden: solange kein Schimmel zu sehen ist, sind die Lebensmittel noch genießbar. 

Wie paradox unser gesamtes System ist und wie verschroben unsere Vorstellungen zum Umgang mit Lebensmitteln sind hat Sophia uns an einem Beispiel aus ihrem Bekanntenkreis gezeigt: Einem Restaurant, das ganzheitlich wirtschaftet, Reste so gut es geht weiterverwendet und somit Kosten einspart, wurde vom Finanzamt Steuerhinterziehung vorgeworfen. Den Finanzbeamt:innen schien es schlicht unmöglich, dass der Wareneinsatz des Restaurants so gering sei. Anstatt nachhaltig wirtschaftende Unternehmen zu unterstützen und Restaurants zu ermutigen, geschlossene Kreisläufe zu verwenden, werden ihnen auf diese Weise noch zusätzlich Steine in den Weg gelegt. Hier fordert Sophia ganz klar politische Maßnahmen: beispielsweise würden durch eine Reduzierung der Steuerlast mit der Reduzierung des Abfalls weitere Restaurants probieren, so wenig Abfall wie möglich zu produzieren und Berlin würde automatisch einen großen Schritt in Richtung mehr Nachhaltigkeit zurücklegen.   

Aus dem Publikum kam die Frage, was wir als Partei tun könnten, um Gastronom:innen wie Sophia das Leben zu erleichtern. Dazu hatte sie gleich mehrere Ideen: Neben den bereits erwähnten Steuererleichterungen sollten wir Bildungsarbeit betreiben, denn ihrer Meinung nach kann nur eine Veränderung des Bewusstseins der Gesellschaft dazu führen, dass Lebensmitteln wieder die ihnen zustehende Wertschätzung entgegengebracht wird. Ein weiterer Schritt zur finanziellen Entlastung ökologisch denkender Gastronom:innen ist die Einpreisung der Umweltfolgeschäden in die Lebensmittel sowie die Subventionierung nachhaltig produzierter Lebensmittel. Diese Maßnahme würde außerdem dazu führen, dass auch Gastronom:innen, denen Profitmaximierung wichtiger ist als Nachhaltigkeit, vermehrt auf nachhaltig produzierte Lebensmittel zurückgreifen würden. Aktuell sind die klimaschädlichsten und ungesündesten Lebensmittel am stärksten subventioniert, was zu einer Bevorzugung dieser Produkte führt und somit nicht nur der Gesundheit der Gesellschaft schadet, sondern auch die Klimakrise weiter befeuert. 

Insgesamt war der Abend mit Sophia sehr spannend und informativ. Einen interessanten Punkt möchte ich abschließend erwähnen: Als Sophia eine Einladung der Women’s Chefs and Restaurateurs Organization (WCR) bekam und gebeten wurde, am 08. März 2018 bei einem Event im James Beard House in New York City teilzunehmen, konnte sie ihr Glück kaum fassen. Anlässlich des Weltfrauentages wurde hier ein Dinner der Spitzenklasse mit ausschließlich weiblichen Köchinnen veranstaltet. Sophia sagt, dass sie noch nie in einer so rücksichtsvollen und empowernden Umgebung gearbeitet hat. Es ist also doch möglich, auch in der Profiküche und in stressigen Situationen respektvoll miteinander umzugehen. Das Einzige, was dazu nötig ist, ist dass die Profis weiblich sind.


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