Die veralteten Klimaschutz-Positionen der Industrie und Handelskammer Berlin

von deny & Florian Stinner

Derzeit positioniert sich die Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin zur Klimadebatte, betreibt Lobbying bei Kandidierenden der alten Parteien für das Rote Rathaus und sucht nach Verbündeten.

Klar, denn bei der isolierten und von den Folgen fossiler Industrie und blinder Konsumwut entkoppelten IHK-Betrachtung der Wirtschaft, braucht sie Partner aus den alten Parteien, aus der alten Welt, aus der alten Zeit. Die alten Profiteure einer allein auf Shareholder Value ausgerichteten Wirtschaftsweise halten zusammen.

Denn neue Parteien, Bewegungen und Akteure machen sich auf den Weg, die Politik umzukrempeln und haben damit durchaus Erfolg. Neue Akteure, die nicht nur jung im Altersdurchschnitt sind, sondern auch jung in ihrer Motivation und in ihrem Denken. Neue Bewegungen, die wegen ihrer jungen Altersstruktur über ein starkes Durchsetzungsvermögen zur Sicherung einer lebenswerten Zukunft verfügen. Neue Parteien, die untereinander vernetzt und solidarisch sind und deren Triebfeder Idealismus und nicht Karrierismus ist.

Das veraltete Weltbild der IHK Berlin bildet sich in Botschaften ab, die monatlich per Newsletter versendet werden:

Anders lässt es sich nicht erklären, dass einem Bienenstock vergleichbar die entsprechenden Senatsverwaltungen emsig ihre eigenen Klimaschutz-Programme vorlegen. […] Die Torschluss-Panik, von dem der Senat derzeit erfasst wird, veranlasste auch die Klimaschutz-Senatorin ihren Maßnahmenkatalog zur ausgerufenen „Klimanotlage“ vorzulegen. […] Um eine vernünftige Balance zwischen Klimaschutz und wirtschaftlichem Wachstum zu erreichen, sollte der Senat das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm 2030 endlich konsequent umsetzen, anstatt ständig neue Ideen zu kreieren.

Der Name „Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm 2030“ ist nur Augenwischerei seitens des Senats. Denn das Programm besagt, dass Berlin bis 2050 (sic!) und ausschließlich die Berliner Behörden bereits bis 2030 klimaneutral werden sollen. Wegen der Schonfrist bis 2050 für die fossil-konventionell aufgestellte Industrie- und Handels-Lobby verteidigt die IHK Berlin das genannte Programm. Ganz nebenbei sei hier erwähnt, dass die ausgerufene Klimanotlage nur auf Druck der Straße und durch die Volksinitiative Klimanotstand Berlin zu Stande gekommen ist. Diese Anerkennung der Klimakrise war keine Initiative des Senats oder der zuständigen Senatsverwaltung.

Das antiquierte Verständnis von Wirtschaft und Gesellschaft im Kontext der Klimakrise prägt weitere Äußerungen, zu der sich die IHK Berlin verleiten lässt: 

Gegen die Empfehlungen der eigenen Experten und des Branchenverbandes Solarwirtschaft sieht der Entwurf nicht nur einen verpflichtenden Einbau in Neubauten vor, sondern anlassbezogen auch im Altbau.“

oder

Bedauerlicherweise ist es allerdings nicht wirklich gelungen, einheitliche Lösungen – Stichwort Heizpilze – zu finden.“

Diese Aussagen verdeutlichen weiter, dass die IHK Berlin die Dringlichkeit der Klimakrise nicht verstanden hat! Flächen auf und an Alt- und Neubauten in Berlin haben gemeinsam mindestens das Potenzial 3,5 GW an Sonnenstrom pro Jahr zu erzeugen und können damit einen signifikanten Beitrag zur Energiewende liefern. Heizpilze emittieren dafür zwischen 300 und 600 g CO2 pro kWh und sind damit intensive Klimakiller. Die Verringerung von Treibhausgasemissionen und das Überleben selbst scheint der IHK Berlin nicht besonders wichtig zu sein. Warum auch? Die leitenden Köpfe der IHK Berlin sind im Durchschnitt 50 Jahre alt, werden bis 2050 achtzig Jahre alt sein und hatten ein konsumreiches Leben. Die Generationen nach Ihnen werden das nicht mehr haben! Sie werden auch wegen der aktuellen IHK-Politik an Dürren, Lebensmittel-, Trinkwasser- und Medikamentenknappheit sowie unter Verteilungskämpfen leiden. 

In die gleiche Kerbe schlägt Franziska Giffey im „digitalen Wirtschaftsgespräch“ mit der IHK Berlin. Sie hält die autofreie Friedrichstraße für „einer Flaniermeile nicht so richtig würdig.“ Sie bezeichnet diese Initiative sogar als ein „totes Pferd“, auf dem man reiten würde. Franziska Giffey bietet sich und die Berliner SPD also bereits als willfährige Partnerin an, um weiter die Luft zu verschmutzen, die Erde aufzuheizen, Wasser zur Mangelware zu machen und den schwächsten Verkehrsteilnehmenden nicht mehr Platz im öffentlichen Straßenraum einzuräumen. Denn gleichbleibender und ansteigender fossiler und selbst elektrischer Autoverkehr fördern die andauernde Vernichtung unserer Lebensgrundlagen. Da verwundert es nicht, dass die IHK Berlin sich kürzlich auch gegen eine City-Maut ausgesprochen hat.

radikal:klima will das nicht hinnehmen und positioniert sich gegen diese Praktiken. Auf der Straße, im Parlament und erst Recht im Senat wird sich radikal:klima durch Entwicklung eines Berliner Klimaplans, u.a. orientiert an den wissenschaftlichen Vorgaben des Weltklimarats (IPCC), für die zukunftsorientierte sozial-ökologische Transformation unserer Stadt einsetzen. 

Wir werden Druck erzeugen, dem sich auch die IHK Berlin nicht entziehen können wird. Und spätestens 2022, wenn die (Zwangs-)Mitglieder der IHK Berlin bei den nächsten Wahlen zur Vollversammlung der IHK Berlin abstimmen können, werden wir unsere gemeinwohlorientierten Partner:innen im Bereich nachhaltige Energie- und Lebensmittelerzeugung, Handel sowie lokal und regional agierende Gewerbetreibende auffordern, daran teilzunehmen und sie im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten unterstützen. 

In den letzten Jahrzehnten hat die Wirtschaft auch in Berlin gezeigt, dass sie Wachstum erzeugen kann, völlig egal ob es den Menschen gut geht oder unsere Umwelt geschädigt wird. In Zukunft müssen wir zeigen, dass wir sicherstellen können, dass es den Menschen und unserer Umwelt gut geht, völlig egal, ob dabei Wachstum erzeugt wird. Ein neu besetzter IHK Vorstand, der versteht, dass es in der Klimakrise um unser aller Gegenwart und Zukunft geht, wird sich daran machen, die Strukturen des vorigen Jahrhunderts von innen heraus aufzubrechen und Berlin bis 2030 auch im Industrie- und Handelssektor klimapositiv zu gestalten.

Übrigens erleidet der Dachverband der Industrie- und Handelskammer aktuell einen ersten Kollateralschaden, weil er dem Klimawandel im Weg steht: Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass die Industrie- und Handelskammer Nord Westfalen aus dem Dachverband DIHK austreten muss. Der Grund: Die Industrie- und Handelskammer Nord Westfalen hat sich wiederholt einseitig zur Klimapolitik geäußert.

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