Keine Angst vor Demokratie

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Die Berliner Regierung muss große Furcht vor der Meinung ihrer Bevölkerung haben: Nicht nur erachtete sie die demokratischen Wahlen zuletzt für so unwichtig, dass sie sie auf die leichte Schulter nahm – und damit ins Chaos stürzte. Nein, auch die verfassungsgemäßen Abstimmungen auf Landesebene werden verschleppt, als handele es sich dabei um nichts anderes als ein zweitklassiges WhatsApp-Meinungsbild.

Im Juli, also bereits vor fünf Monaten, startete das Volksbegehren Berlin 2030 Klimaneutral. Wie findige Demokrat:innen unserer Stadt wissen, läuft eine solche Unterschriftensammlung für vier Monate. Dann reicht die Initiative, zumeist mit einigem Medienecho, ihre Unterschriften bei der Innenverwaltung ein. Zuletzt war ein Begehren zum Abgabetermin im September an der Zahl der nötigen Unterschriften gescheitert. Es handelte sich um die Initiative zur Erprobung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Berlin.

Am 14. November war es dann wieder soweit: Das Initiativenbündnis rund um Klimaneustart Berlin brachte, wohlgemerkt in einem großen Fahrradkorso, die gesammelten Unterschriften des Klimavolksbegehrens zum Senat. Überrascht war dort niemand, vielmehr war die Lieferung erwartet worden. Die Initiative befand sich im engen Austausch mit der Innenverwaltung, denn sie hatte bereits während der Sammelphase im Zweiwochentakt Unterschriften vorbeigebracht.

Der Grund? Die Auszählung sollte vereinfacht und beschleunigt werden. Die Initiative kam der Berliner Regierung also freiwillig entgegen. Man könnte auch sagen: Klimaneustart Berlin, infolge mehrerer Volksinitiativen in den Vorjahren eine erfahrene Akteurin der direkten Demokratie, leistete der Innenverwaltung einen Freundschaftsdienst. Selbstverständlich gingen die ehrenamtlichen Sammler:innen und die Initiative infolgedessen von einer Zusammenlegung des Volksentscheids mit der Wiederholungswahl am 12. Februar 2023 aus. Zwei Urnengänge innerhalb weniger Wochen wären schließlich unnötig teuer und den Wähler:innen gegenüber eine Zumutung.

Doch überraschend spricht sich Innensenatorin Spranger (SPD) nun gegen die Zusammenlegung am 12. Februar aus. Auch ihr Wahlleiter, Prof. Bröchler hat plötzlich große Bedenken. Die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus sieht es ebenso und ist nicht einmal bereit, zur Beschleunigung der Abläufe auf eine eigene Stellungnahme zu verzichten. Schlussendlich entscheidet der Senat. Doch eine Meuterei der Grünen und Linken gegen die SPD-Meinung ist unwahrscheinlich. Für alle drei Parteien ist Klimaschutz eben nur ein Thema unter vielen. Und sie wollen nach der Wahl am liebsten zusammen weiterregieren.

Der angebliche Grund für die Nicht-Zusammenlegung von Entscheid und Wahl? Zeitmangel, sagt die SPD. Zeitmangel, murmelt die Linke. Zeitmangel, nicken wohl bald auch die Grünen. Es sei unzumutbar, innerhalb so kurzer Zeit genügend Abstimmungszettel und Broschüren drucken zu lassen. 104 Tage, das reiche nicht, zumal das amtliche Auszählungsergebnis erst nach zwei gemütlichen Wochen kam. Entsprechend seien es 90 Tage und somit zu knapp. Der Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co Enteignen wurde innerhalb von 93 Tagen zusätzlich zu einer Wahl organisiert. Da hatte es gereicht für Druck und Versand. Aber solche Fakten stören bloß. Dem “Fest der Demokratie”, so Wahlleiter Bröchler, solle nichts entgegenstehen.

Wohlgemerkt eher ein Trauerfest für die Berliner Demokratie. Denn der Volksentscheid ist hierzu leider nicht eingeladen. Dabei ist völlig unstreitig, dass eine Landesregierung in der Bundesrepublik Deutschland sehr wohl in der Lage wäre, eine Abstimmung parallel zu einer Wahl innerhalb von 90 Tagen zu organisieren. Wenn sie es nur wollte. Und genau hier liegt offensichtlich das Problem. Berliner Regierungen trauen ihrer Bevölkerung einfach nicht. Und das macht sich bemerkbar.

Da ist zum Beispiel der Volksentscheid zur Berliner Energieversorgung, der 2013 ohne Not auf wenige Wochen nach der Bundestagswahl gelegt wurde - und trotz hoher Zustimmung knapp am Quorum von 25% der Wahlberechtigten scheiterte. Im Jahr 2008 kündigte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit noch vor der Abstimmung über die Offenhaltung des Flughafen Tempelhof an, dass er das Ergebnis nicht beachten werde. Und seit der Wahl 2021 verschleppt der Berliner Senat das Anliegen von Deutsche Wohnen & Co Enteignen, obwohl das Begehren mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde.

Ähnliches hatte auch schon Klimaneustart erfahren. Vergangenes Jahr hatte die Gruppe erfolgreich eine Volksinitiative für einen Klima-Bürger:innenrat durchgeführt. Diesen Frühling durften 100 zufällig ausgewählte Berliner:innen zu Klimaschutz beraten und Empfehlungen abgeben. Hiervon bis heute umgesetzt - nichts. Die Ideen gingen dem Berliner Senat wohl doch zu weit. Vertrauen in demokratische Instrumente? Fehlanzeige.

Wer als Regierung so mit den Meinungen und Sorgen seiner Bevölkerung umgeht, der muss sich nicht wundern, wenn Teile davon anfangen, in den zivilen Ungehorsam zu gehen und die Verzweiflung durch Suppenwürfe auf Gemälde auszudrücken. Offenbar ist es überfällig, neue Gesichter und frischen Wind in Parlament und Senat zu bringen. Wir alle können unseren Beitrag leisten, indem wir am 12. Februar 2023 eine Partei wählen, die die Dringlichkeit der Klimakrise wirklich ernst nimmt. Und indem wir ein paar Wochen später (wann genau, ist unklar) für den Volksentscheid Berlin 2030 Klimaneutral stimmen.

Sie sollen sich ruhig fürchten vor uns, denn wir sind viele und wir wollen Veränderung.


Die Bewegungspartei Klimaliste Berlin ist Teil des Bündnisses für das Volksbegehren Berlin 2030 Klimaneutral und war mit derselben Forderung bereits 2021 zur Abgeordnetenhaus- und Bezirkswahl angetreten. Wir unterstützen die sofortige Umsetzung des Volksentscheids DW & Co Enteignen, ebenso wie die Erprobung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Berlin. Auch die Forderungen des Volksbegehren Berlin Autofrei steht in unserem Programm. Und den Klima-Bürger:innenrat wollen wir verstetigen und die Empfehlungen der ersten Runde ambitioniert umsetzen.

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