Lieber Farin - Klaus Farin schreibt an Farin Urlaub: Die Grünen sind doch nicht alternativlos

von Klaus Farin

Hi Farin!

Du hast neulich mal öffentlich bekanntgegeben, dass Du am 26. September die Grünen wählen wirst. Dass sie derzeit „völlig alternativlos“ sind.

Mal von Farin zu Farin gesagt: Das habe ich früher auch so gesehen. Deshalb war ich zwanzig Jahre – von 1999 bis 2018 – Mitglied der Grünen. Mein Anwalt Christian Ströbele hatte mich damals überzeugt. Aber das ist eine längere Geschichte…

Leider habe ich zusehends gemerkt, wie die Grünen immer mehr zum Teil des Problems wurden und immer weniger ein Teil der Lösung. Vor allem die Grünen-Berufspolitiker:innen. Viele von denen sitzen inzwischen 20 oder 30 Jahre in diversen Parlamenten. Sie haben viel erreicht, regieren inzwischen in den meisten Bundesländern mit – aber haben leider auch vergessen, wofür sie diese Macht eigentlich wollten. In Berlin hatten sie wenigstens noch einen linken Koalitionspartner, überall sonst werden sie in der Regel nur von „rechts“ angegriffen und ausgebremst. Auch von Verwaltungen. „Geht nicht“ – „Hamwa noch nie so gemacht“ … – Die Grünen haben leider auch kein gutes Händchen, mit diesen konstruktiv umzugehen, sie auf ihre Seite zu ziehen.

Viele Berufspolitiker:innen der Grünen sind frustriert. Sie glauben ernsthaft, es gibt keine Alternative zum radikalen Neoliberalismus der letzten Jahrzehnte, der auch sie geprägt hat. Und da sie sich fast ausschließlich in ihrer eigenen Blase bewegen, haben sie nicht bemerkt, dass sich die Gesellschaft längst weiterentwickelt, positiv verändert hat. Die große Mehrheit der Bevölkerung hat zum Beispiel erkannt, dass die weitere Erderwärmung dringend aufgehalten werden muss. Sie möchte, dass die Politik HANDELT. Nicht nur über 10.000 Wissenschaftler:innen, auch immer mehr Unternehmen aus der Wirtschaft fordern eine engagiertere, zukunftsorientierte klimapositive Politik. Die Berliner:innen wünschen sich ein schöneres Berlin, ein gerechteres Berlin. Was Paris, Amsterdam, Wien und andere europäische Metropolen derzeit vormachen, können wir doch auch, hoffen sie. Deshalb haben Hunderttausende Berliner:innen für die Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen wie Deutsche Wohnen unterschrieben, für autofreie Kieze und jetzt für entschiedene Maßnahmen gegen den Klimanotstand. Den hat der jetzige Senat zwar offiziell bekanntgegeben, aber nichts dagegen getan. Viele Berliner:innen sind frustriert und empört, dass die Politik immer noch alles aussitzt und glaubt, damit durchzukommen, wiedergewählt zu werden. Leider auch die Grünen.


So ging es auch mir, als ich mich 2018 entschied, die Grünen zu verlassen. Denn es gab ja keine Alternative. Im Herbst 2020 bin ich dann plötzlich auf radikal:klima gestoßen. Überwiegend sehr junge Menschen aus der Klimabewegung hatten diese Partei gegründet, weil sie nicht weiter ohnmächtig zusehen wollten, wie die Politik alle Erkenntnisse der Wissenschaft einfach ignoriert und den Klimanotstand verdrängt. Fast widerwillig, denn ich war immer noch von „der Politik“ frustriert, blieb ich bei ihnen.

Doch nur zusehen und passiv Probleme aussitzen war noch nie mein Ding. Schließlich gründete ich vor sechs Wochen mit rund zwei Dutzend weiteren Menschen in Leipzig eine neue Partei – die Klimaliste Deutschland. Auch radikal:klima war dabei, schloss sich der nun bundesweit existierenden Klimafamilie an und heißt jetzt Klimaliste Berlin. Und kandidiert am 26. September zum Berliner Abgeordnetenhaus und in acht Bezirken.


Die Grünen sind jetzt also nicht mehr alternativlos!

Versteh das nicht falsch, lieber Vetter Farin: Auch ich wünsche mir eine grüne Bürgermeisterin für Berlin und eine von den Grünen geführte Landesregierung! Dazu gibt es auch meiner Meinung nach keine sinnvolle Alternative. Allerdings: keine grün-schwarze Regierung. Das würde weiterhin Stillstand bedeuten. Und die Grünen wären weiterhin ein Teil des Problems, statt endlich beherzt Lösungen zu finden und umzusetzen. Es müsste schon wieder eine grün-rote Regierung sein. Auch wenn die Linke in Sachen Klima eine eher halbherzige Politik verfolgt. Doch beide – die Grünen und die Linken – sind wohl die einzigen etablierten Parteien in Berlin, denen ich eine engagierte Politik für eine klimapositive und zugleich gerechte Stadt zutraue. Allerdings fehlt ihnen jetzt wohl der Partner für eine Mehrheit, die dritte Partei im Bunde. Die SPD steht dafür wohl kaum noch zur Verfügung, hat sie doch unter ihrer Spitzenkandidatin wirklich jeden Minimalkonsens mit ihren jetzigen Regierungspartnern aufgekündigt und sich wieder zur Betonfraktion der 1990er Jahre zurückentwickelt. Egal, was Frau Giffey gefragt wird, ihre Antwort ist immer gleich: Bauen – bauen – bauen. U-Bahnen, Wohnungen, und das Tempelhofer Feld ist den Berliner Sozialdemokraten ja schon lange ein Dorn im Auge. Sagen wir es ganz offen: Die Berliner SPD ist da ein wenig unterkomplex aufgestellt und mit den Anforderungen einer modernen und vielfältigen Großstadt des 21. Jahrhunderts an die Politik überfordert. Sie sollte die Chance haben, sich ein paar Jahre in der Opposition zu regenerieren.


Zum Glück gibt es aber nun eine Alternative zur SPD, einen neuen Bündnispartner für eine neue grün-rote, dann sogar grün-grün-rote Regierung: die Klimaliste Berlin. Stell Dir vor, lieber Vetter Farin, die Klimaliste schafft es am 26. September, mit acht bis zehn Prozent der Stimmen ins Berliner Abgeordnetenhaus gewählt zu werden. Welch großartige Chance für die engagierten Grünen und die Linke!

Für die Linke ist es ohnehin die einzige Chance, wieder Regierungspartei zu werden – denn wer würde sonst mit ihr koalieren wollen? Wenn sie nicht einen dritten Partner für ein Regierungsbündnis findet, ist sie draußen. Und die Grünen? Anders als bei der Bundestagswahl, wo ihre Position derzeit eher schwach ist und es auf jede Stimme ankommen wird (und wo die Klimaliste auch deshalb gar nicht erst kandidiert), zweifelt in Berlin niemand daran, dass die Grünen sich ihre zukünftigen Koalitionspartner aussuchen können.

Und da kommt wieder die Klimaliste Berlin ins Spiel: Wenn diese nicht mit einer starken Fraktion im Parlament vertreten sein wird, dürfte es grün-schwarz werden. Das kann eigentlich niemand wollen, der sich eine engagierte grüne Politik für diese Stadt wünscht. Vor allem nicht die grüne Basis. Auch deshalb denken schon jetzt viele Mitglieder und Stammwähler:innen der Grünen darüber nach, ausnahmsweise am 26. September nicht ihre eigene Partei zu wählen, sondern die Klimaliste Berlin.

Es ist strategisch die einzige Chance: Wer für Berlin eine starke, engagierte grüne Politik möchte, hat keine andere Wahl, als mit der Zweitstimme fürs Abgeordnetenhaus ihr Kreuz auf Platz 32 des Stimmzettels zu machen, bei der Klimaliste Berlin. Natürlich verlieren Grüne und Linke so ein paar Stimmen, wenn „ihre“ Wähler:innen „fremdgehen“. Aber das spielt letztlich keine große Rolle. Denn ohne die Klimaliste als neuen dritten Partner im Abgeordnetenhaus an ihrer Seite, wird es keine grün-rote Regierung geben. Die Linke wird wieder die Oppositionsbank drücken und die Grünen werden mit der CDU regieren. Oder wieder mit der SPD an ihrer Seite – in welcher Farbenkombination auch immer – die noch mehr den Bremsklotz abgeben und jegliche engagierte Politik verhindern wird. Das hat Berlin nicht verdient!

Lieber Vetter Farin: Du siehst, es gibt eine Alternative zu den Grünen! Die nach der Wahl die Grünen als verlässlicher Partner unterstützen wird – zum ersten Mal in ihrer vierzigjährigen parlamentarischen Geschichte haben die Grünen die Chance, einen gleichgesinnten Partner an ihre Seite zu bekommen! –, aber auch dafür sorgen wird, dass die grünen Berufspolitiker:innen im Abgeordnetenhaus wieder eine engagierte grüne Politik machen werden!

Und ich freue mich ganz persönlich darauf, dabei zu sein, ein Teil der Lösung. Und gemeinsam mit Bettina Jarasch, Klaus Lederer und den anderen das Parlament zu rocken!


Beste Grüße aus Neukölln

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