Warum wir Klimaaktivisti nicht die Welt retten – sondern die Menschheit

von Dr. Michael Hohenadler

Wie viele von uns habe auch ich Angst vor der Zukunft. Wie den meisten von uns gelingt es mir an manchen Tagen, diese Angst zu verdrängen und trotzdem das Leben zu genießen und Spaß mit Familie und Freunden zu haben. In letzter Zeit aber schlägt sich diese Zukunftsangst mehr und mehr ihren Weg an die Oberfläche und wartet dort – als ständige Bedrohung – darauf, hervorzubrechen. Als Klimaaktivist und Wissenschaftler ist mir unsere Lage noch deutlicher bewusst, als einem Großteil der Bevölkerung, der die Klimakrise erst dann bemerkt, wenn sie in Form von Überschwemmungen, Waldbränden oder Ernteausfällen an die Haustür klopft und eine ganz konkrete Bedrohung darstellt.

Fakt ist, die Treibhausgase in der Atmosphäre nehmen – trotz zahlreicher Versprechen und Maßnahmen einiger Staaten – immer weiter zu, Temperaturen steigen im weltweiten Mittel an. Erst kürzlich hat die NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) bekanntgegeben, dass Juli 2021 weltweit der heißestes jemals gemessene Monat war . Wir sehen Bilder von Waldbränden in großen Teilen Europas, Afrikas und Nordamerikas. Durch Dürren kommt es zu humanitären Katastrophen, die in Ländern wie Madagaskar das Leben von 100.000en Menschen bedrohen. Gleichzeitig kommt es zu sogenannten Jahrhundert- oder Jahrtausendfluten (die so heißen, weil sie in dieser Form nur alle 100 oder 1000 Jahre vorkommen und nicht wie derzeit alle paar Jahre), die zahlreiche Leben fordern und milliardenschwere Schäden verursachen.

Dass das alles so kommen würde und dabei trotzdem gerade mal der Anfang ist, sagen uns einige Experten bereits seit den 1970er Jahren und seit den 1990ern sind diese Warnungen quasi omnipräsent. Allerdings ist viel zu wenig passiert. Der erst neulich veröffentlichte Sonderbericht zu den Auswirkungen der globalen Erwärmung des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) hat uns das ganz deutlich vor Augen geführt. Und das Erschreckende: Noch immer handeln die Verantwortlichen viel zu zaghaft – oder gar nicht.

Trotzdem – und das muss uns spätestens jetzt allen klar sein – geht es bei der ganzen Sache nicht darum, das Klima zu retten. Es geht nicht einmal darum, die Welt zu retten.  Dem Planeten Erde ist es vollkommen egal, ob eine Durchschnittstemperatur von +50 oder -50 Grad Celsius herrscht, ob er nur von Bakterien oder einer atemberaubenden Vielfalt von Lebewesen bevölkert wird – und das schließt auch die Existenz des Menschen mit ein. Daher muss gesagt werden, dass es bei den ganzen Anstrengungen der Wissenschaft, der Klimaaktivisti und vielen anderen nationalen und internationalen Akteuren um nicht weniger als um das Überleben der Menschheit geht. Um unser Überleben.

Polemik? – Mitnichten

Die Menschheit feiert sich dafür, dass sie wohl als einzige Spezies der Welt ein Bewusstsein hat. Wir sind uns über unser Dasein und auch über unsere Endlichkeit bewusst. Und trotzdem zerstören wir täglich unsere eigene Lebensgrundlage. Aber was bedeutet das eigentlich „Zerstörung der Lebensgrundlage“? 

Einige Fakten dazu:

Zum einen wäre da der Verlust und die Vernichtung der Artenvielfalt durch den Menschen. Laut des Weltbiodiversitätsrates war das Ausmaß des Artensterbens in der Geschichte der Menschheit noch nie so groß wie heute – und die Aussterberate nimmt weiter zu . Drei Viertel der Naturräume auf den Kontinenten wurden vom Menschen bereits erheblich verändert, in den Meeren zwei Drittel. Die Folgen werden immer deutlicher. In den letzten 100 Jahren sind fast 20 Prozent aller an Land lebenden Arten ausgestorben und 40 Prozent aller Amphibien. Auch ein Drittel aller marinen Säugetierspezies sind massiv vom Aussterben bedroht. Dies trifft auch auf tausende Pflanzenarten zu, darunter auch viele Nutzpflanzen, die für unser Überleben notwendig sind. Und die Rate, mit der Lebewesen aussterben, nimmt von Jahr zu Jahr zu.

Gleichzeitig breiten sich andere Arten massiv aus, die für die Übertragung von Krankheitserregern wie Malaria oder Dengue verantwortlich sind. So werden diese Krankheiten immer häufiger in Europa diagnostiziert. Pandemien wie Corona, die derzeit unser Leben massiv beeinträchtigen, werden durch den Klimawandel begünstigt, wahrscheinlicher und häufiger werden.

Der menschengemachte Klimawandel sorgt dafür, dass es immer häufiger zu Dürren und damit zu Ernteausfällen und Trinkwasserknappheit kommt. Und zwar nicht tausende Kilometer entfernt, sondern mitten in Europa, wie zum Beispiel in Spanien, Italien und Griechenland. Gleichzeitig werden Felder überdüngt und die dadurch verursachten Nitratablagerungen im Grundwasser werden, sobald vom Menschen aufgenommen, in Nitrit umgewandelt, was tödliche Konsequenzen haben kann - vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern, da durch das Nitrit die Sauerstoffaufnahme im Körper gehemmt wird. Und wenn wir schon über Babies sprechen: Laut mehrerer Studien hat der Klimawandel bzw. der damit verbundene Temperaturanstieg eine direkte Auswirkung auf die Spermienanzahl von Männern und kann letztendlich zu Unfruchtbarkeit führen. Dieses Phänomen wird besonders bei Männern im westlichen Europa und Nordamerika beobachtet.

Und obwohl das alles schon schwer wiegt, zeigt uns die Vergangenheit auch, dass diese Beobachtungen kein reines Umweltthema sind, sondern ebenfalls Entwicklung, Wirtschaft, politische Stabilität und soziale Aspekte massiv beeinflussen.  Die meisten Kriege werden für Rohstoffe und Ideologien ausgetragen. Ressourcen- und Wasserknappheiten bringen die dunkelste Seite der Menschen zum Vorschein und sind maßgeblicher Treiber von Flucht und Verfolgung.

ABER es gibt noch Hoffnung. 

Wir müssen lernen, uns als Retter der Menschheit zu verstehen und aktiv werden! Nicht irgendwo und irgendwann… sondern jetzt und überall. Egal, wie dunkel das Bild sein mag, das für die Zukunft gezeichnet wird, es gibt eine große Anzahl von Expert:innen, die sagen, dass wir noch etwas Zeit haben, um das größte Übel abzuwenden. Sicherlich, es bedarf fundamentaler Veränderungen bei Technologien, Wirtschaft und Gesellschaft, Paradigmen, Ziele und Werte eingeschlossen. Die Weltgemeinschaft muss sich dringend abwenden von wirtschaftlichem Wachstum als zentralem Ziel, hin zu nachhaltigeren Systemen. Und ein großer Teil der Menschheit zeigt auch, dass er dafür bereit ist. 

Und ganz ehrlich, gibt es überhaupt eine Alternative?

2021 ist ein Schicksalsjahr. Corona, Jahrhundertfluten und Waldbrände in großen Teilen Europas, zu tiefe Grundwasserspiegel in Berlin und Brandenburg zeigen uns hier in Deutschland, dass die anstehende Wahl zur Klimawahl werden muss. Überleg dir genau, wen du wählst und hab dabei immer im Kopf, wer dich die letzten Jahre regiert und uns die Suppe eingebrockt hat. Geh raus, sprich mit Leuten, schließ dich Demos an und kämpfe gemeinsam mit der Klimaliste Berlin und unseren Verbündeten für ein Berlin, ein Deutschland, ein Europa und einer Welt der Zukunft, in der du, deine Kinder und Enkel noch Freude und Ressourcen zu leben habt.

Wir haben noch Zeit, Hoffnung, Motivation und Energie - aber wie lange noch? Lass sie uns JETZT nutzen!

Geodatenkatalog von Berlin: https://fbinter.stadt-berlin.de/fb/index.jsp

Weiterführende Literatur: 

National Research Council (1979) Carbon Dioxide and Climate - A Scientific Assessment; Deutsche Physikalische Gesellschaft e.V. (1971) Machen Menschen das Wetter - Industrialisierung und Bevölkerungswachstum beeinflussen das Klima

United Nations (1998) Kyoto Protocol to the United Nations Framework Convention on climate change

Dupuy et al. (2020) Climate change impact on future wildfire danger and activity in southern Europe: a review. Annals of Forrest Science; Ludwig et al. (2011) Towards an inter-disciplinary research agenda on climate change, water and security in Southern Europe and neighboring countries. Environmental Science and Policy

Barreca et al. (2018) Maybe Next Month? Temperature Shocks and Dynamic Adjustments in Birth Rates. Demography;

Sales et al. (2018) Experimental heatwaves compromise sperm function and cause transgenerational damage in a model insect. Nature Communications; Levine et al. (2017) Temporal trends in sperm count: a systematic review and meta-regression analysis. Human reproduction update

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