Berlin klimaneutral 2030 – „Yes, we can!”

von Denise Ney

Im November 2020 fand eine Online-Veranstaltung der Klimagerechtigkeitsbewegung Berlin statt. Dabei war auch ein Gast aus Spanien. Xavi von Barcelona en Comú, einer zivilgesellschaftlichen Plattform, die verschiedene soziale und politische Organisationen der katalanischen Hauptstadt zusammenbringt. Er bat uns eindringlich, in unserer Stadt für die notwendigen Klimaschutzmaßnahmen einzutreten, mit denen Berlin seinen gerechten Beitrag zur Erfüllung des Pariser Klimaschutzabkommens leisten würde. Auf den Vorwand einer teilnehmenden Person, dass Berlin doch nur eine Stadt von vielen sei, erinnerte Xavi uns eindringlich an unsere Verantwortung als Bewohner:innen einer Metropole des globalen Nordens und als Hauptstadt der größten Volkswirtschaft der Europäischen Union. Selbst wenn unsere Emissionen nur Zehntel Prozente der weltweiten Emissionen ausmachen, sollten wir doch Vorbild für Deutschland und darüber hinaus für Großstädte europa- und weltweit sein.

Horizon Europe – Europäische Städte klimaneutral 2030

Im Jahr 2021 rief die Europäische Kommission das Programm „Horizon Europe“ [1] aus, für das sich europäische Städte bewerben und die Herausforderung „Klimaneutralität bis 2030“ annehmen konnten. Im April 2022 wurden die teilnehmenden Städte für das Programm bekannt gegeben. Aus Deutschland sind Aachen, Dortmund, Dresden, Frankfurt/Main, Heidelberg, Leipzig, Mannheim, München und Münster dabei. Ebenso nehmen die europäischen Hauptstädte Dublin, Paris, Amsterdam, Lissabon, Sofia und Madrid die Herausforderung an. Berlin ist nicht dabei. Die verantwortlichen Politiker:innen Berlins trauen sich nicht zu, Deutschlands Hauptstadt, eine Metropole Europas kleiner als Paris (11,08 Mio. Einwohner:innen) und Madrid (6,67, Mio. Einwohner*innen) bis 2030 klimaneutral zu gestalten. Berlin, die Stadt der ewigen Veränderung, die Teilung und Wiedervereinigung gerockt hat, soll dieser Herausforderung nicht gewachsen sein? „Doch, wir schaffen das!“ sagen engagierte Menschen unserer Heimatstadt. Sie sammelten im Sommer 2022 zu Tausenden auf Berlins Straßen, Plätzen und Parks mehr als 260.000 Unterschriften für den Volksentscheid „Berlin klimaneutral 2030“ der Initiative Klima Neustart [2]. „Doch, wir müssen das!“ sagen engagierte Klimaaktivist:innen, die sich in der Klimaliste Berlin zusammengeschlossen und in monatelanger Arbeit nach vielen Besprechungen mit Expert:innen einen Klimaplan [3] zusammengestellt haben, wie Berlin bis 2030 klimaneutral gestaltet werden kann.

Warum die Frist bis 2030?

Seit Jahrzehnten bewirken die durch die Verbrennung von fossilen Energieträgern in die Erdatmosphäre emittierten Treibhausgase CO2, Methan, Lachgas und andere eine Veränderung unseres Klimasystems. Mit der Zunahme der Treibhausgase in der Atmosphäre nimmt seit dem Beginn der Industrialisierung die durchschnittliche Temperatur auf unserem Planeten zu. Statt stabiler Jahreszeiten, die unsere Zivilisation erst möglich gemacht haben, erleben wir Hitzewellen, Starkregen und andere Extremwetterereignisse, die von Jahr zu Jahr an Häufigkeit und Intensität zunehmen.

Deutschland hat das 2015 in Paris beschlossene Abkommen zur Begrenzung der Erderhitzung auf deutlich unter 2 Grad, möglichst unter 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter einstimmig im Bundestag ratifiziert. Dieses Abkommen ist völkerrechtlich bindend und damit ergibt sich auch für die Stadt Berlin die Verpflichtung zur Einhaltung. Mit den vorhandenen Klimamodellen existiert eine wissenschaftliche Grundlage für die Berechnung des weltweit noch zur Verfügung stehenden CO2-Gesamtbudgets, um die notwendige Begrenzung der globalen Erwärmung einzuhalten. 

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat in seiner Stellungnahme [4] vom 15.06.2022 das maximale CO2-Budget für Deutschland ab 2022 benannt, das für einen global gerechten, angemessenen deutschen Beitrag zu den internationalen Klimazielen noch verbleibt. Demnach steht Deutschland bundesweit ein maximales CO2-Budget von 6,1 Milliarden Tonnen CO2 zur Verfügung, um die Erhitzung der Erde auf 1,75 Grad zu begrenzen (mit 67 % Wahrscheinlichkeit). Für die 1,5-Grad-Grenze (50 % Wahrscheinlichkeit) müsste Deutschland seine Emissionen auf maximal 3,1 Milliarden Tonnen CO2 begrenzen. 

Die Klimaliste Berlin hat schon in 2021 die aus dem Berliner Energie- und Klimaschutzplan (BEK 2030) des Berliner Senats resultierenden Emissionen bis 2045 mit den zur Verfügung stehenden Restbudgets unter Berücksichtigung verschiedener Verteilungskriterien (nach Bevölkerungsanteil, CO2-Emissionsanteil, BIP-Anteil) betrachtet.

Es ist zu erkennen, dass das BEK 2030 die 1,5-Grad-Grenze nicht einhält. Auch die aktuelle Studie „Berlin Paris-konform machen“ [5] des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung IÖW aus dem Jahr 2021 bescheinigt den Zielsetzungen von Rot-Grün-Rot „Schreibt man die für Berlin ermittelte CO2-Trendentwicklung der Jahre 2010 bis 2017 und 2020 längerfristig fort, so zeigt sich, dass trotz sinkender Tendenz […] die zukünftigen Zielwerte deutlich verfehlt werden.“

Das zur Verfügung stehende Emissionsbudget ist begrenzt, es ist durch das Klimasystem der Erde unverrückbar definiert. Wir können das Zieljahr für unsere Klimaneutralität nicht beliebig wählen. Eine Überschreitung bedeutet zwangsläufig, dass auch die 2015 in Paris festgelegten Grenzen für die weltweiten Durchschnittstemperaturen überschritten werden. Diesem Zusammenhang verschließen sich alle, die unter dem Vorwand „politisch nicht machbar“ weiter an dem willkürlich festgelegten Ziel 2045 festhalten.

Anders als die anderen Berliner Parteien und der Berliner Senat, die ihren Plänen und vorgeschlagenen Maßnahmen keine Paris-konformes Restbudgets zugrunde legen, enthält der Klimaplan [3, Seite 7 ff] der Klimaliste Berlin einen wissenschaftlich begründeten und nachvollziehbaren Budgetansatz.  Das Ziel „Berlin klimaneutral 2030“ muss endlich ambitioniert und mit dem entsprechenden Verantwortungsbewusstsein angegangen werden. Nur wer sich hohe Ziele steckt, kann sie auch erreichen. Eine Politik, die sich den Menschen dieser Stadt, den Menschen weltweit und den zukünftigen Generationen verpflichtet fühlt, muss jetzt handeln.

Keine Partei im Berliner Abgeordnetenhaus will sich dieser Verantwortung stellen. Sie argumentieren damit, dass Berlin bis 2030 nicht klimaneutral gestaltet werden kann. Selbst Bettina Jarasch als Spitzenkandidatin der Berliner Grünen strebt Klimaneutralität erst 2040 an und wird in Bezug auf die Ablehnung des Volksentscheids mit "Ich kann redlicherweise nicht für ein Gesetz plädieren, das ich nicht umsetzen kann" [6] zitiert. Doch sowohl der Klimaplan der Klimaliste Berlin als auch die auf wissenschaftlichen Studien und Stellungnahmen von Expert:innen beruhenden Forderungen und Argumente der Initiative Klima Neustart zeigen: „Ja, Berlin kann das!“ [7]

Was Paris und Madrid können, können wir auch!

Quellen

[1] https://research-and-innovation.ec.europa.eu/document/9224c3b4-f529-4b48-b21b-879c442002a2_de

[2] https://klimaneustart.berlin und https://www.berlin2030.org/warum-ja/

[3] https://www.klimaliste-berlin.de/klimaplan

[4] https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.html

[5] https://www.ioew.de/publikation/berlin_paris_konform_machen

[6] https://www.sueddeutsche.de/politik/berlin-volksbegehren-klima-gruene-klimaneutral-1.5722250

[7] https://www.berlin2030.org/warum-ja/argumente/

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