Beton aus den Köpfen

von Stephan Führ

Es ist Wahlkampf. Und natürlich steht das Thema Wohnen ganz oben mit auf der Agenda. „Wohnen muss bezahlbar bleiben“ – ganz klar! … Nur wie oft wird diese Phrase noch wiederholt, bis greifbare politische Lösungen auf dem Tisch liegen?

Für einen wachsenden Teil der Menschen in dieser Stadt ist Wohnen schon lange nicht mehr wirklich bezahlbar. Zwischen 2009 und 2019 sind die Mietpreise in Berlin um 104 Prozent gestiegen, gleichzeitig haben sich die Bruttolöhne aber nur um 35 Prozent erhöht. Große Teile der Stadtbevölkerung müssen 30 Prozent und mehr ihres Einkommens in die Miete stecken. Die permanente Bedrohung ihrer Rückzugsräume durch Privatisierung, Spekulation und Umnutzung hinterlässt Spuren - individuelle wie auch gesellschaftliche. Es erodiert zunehmend das in die Politik gesetzte Vertrauen, die scheinbar auch keine neuen Lösungsideen mehr anzubieten hat. 

An erster Stelle steht nach wie vor das Dogma vom Bauen, welches nicht nur das in seiner Dringlichkeit dominierende Problem des Klimawandels ignoriert, sondern leider auch grundlegenden Illusionen unterliegt. Entsprechend lohnt es sich, einige dieser einmal näher zu beleuchten.

Illusion 1:  Über mehr Angebot zu bezahlbarem Wohnraum

Der Ansatz „bauen, bauen, bauen“ - also mehr Beton für die Stadt - meint im Grunde den Versuch einer „Angebots-Justierung“. Diese ist notwendig, da viele staatlich subventionierte Wohnungen aus der Mietpreisbindung fallen, der Staat selbst aber zu wenig neue Sozialwohnungen baut und somit die Schaffung bezahlbaren Wohnraums dem freien Markt überlässt. Innerhalb von 10 Jahren ist allein in Berlin der Bestand von 170.000 Sozialwohnungen im Jahr 2008 auf 100.000 gesunken. Im selben Zeitraum hat sich allerdings die Anzahl der Menschen mit Wohnberechtigungsschein (WBS), die Anspruch auf diese Wohnungen haben, verdoppelt. Allein diese Zahlen zeigen schon, dass die Glaubensprinzipien des freien Marktes an seine Grenzen stoßen. Denn diese gehen davon aus, dass Angebot und Nachfrage sich gegenseitig bedingen und ganz natürlich ausgleichen - und sich daraus von ganz allein wieder „sozial verträgliche“ Mieten ergeben. Dass Wohnraum längst Spekulationsobjekt geworden ist, wird dabei ausgeklammert. Aber gerade die Spekulation übt einen entscheidenden Einfluss darauf aus, wie und in welche Art von Wohnraum investiert wird. Solange staatliche Regulierung nur Bruchteile des gesamten Bauvolumens trifft und dann auch nicht mehr als 50 Prozent sozialen Wohnraum fordert, wird es darin keine Änderung geben. Die Wahlmöglichkeiten für Wohnraumsuchende sind demgegenüber in der Regel durch äußere Umstände - wie den Standort des Arbeitsplatzes - beschränkt, sodass selbst überteuerter Wohnraum seinen Absatz findet.

Die Frage bleibt, ob das Mantra “Bauen” ökologisch wie ökonomisch überhaupt sinnvoll ist. Die Praxis zeigt klar, dass die Ursache steigender Mieten eben nicht nach volkswirtschaftlichem Lehrbuch nur auf ein mangelndes Angebot zurückgeht. Aufgrund des hohen Bedarfs und der damit verbundenen Nachfrage, müsste also aktuell vor allem bezahlbarer Wohnraum entstehen. Die Realität sieht allerdings anders aus. Um die Mietpreiswende auf diese Weise zu schaffen, bräuchte es tatsächlich ein deutliches Überangebot an Wohnraum. Davon ist Berlin derzeit nicht nur meilenweit entfernt, sondern es wäre  auch völlig unrealistisch anzunehmen, dass sich dieser Leerstand ohne Bevölkerungseinbruch je wirklich einstellt.

Illusion 2:  Verdrängung durch Bauen verhindern

Die weit verbreitete Meinung ist, dass neuer Wohnraum durch die dann abnehmende Nachfrage an bestehendem Wohnraum auch Bestandsmieten schützt. Allerdings bildet auch das nicht die Realität ab. Seit 2011 steigen die Bestandsmieten in Berlin im Schnitt um 3,1 Prozent. Dass das Grundrecht auf Wohnen zur Ware gemacht wurde, treibt nicht nur den Preis für Wohnraum selbst, sondern auch für alle weiteren damit verbundenen Aspekte, wie Preise für Boden, Materialien und Baudienstleistungen, in die Höhe. Spekulation erhöht zusätzlich erheblich die Kosten für Neubauten. Neuer Wohnraum lässt sich dann nur noch zu hohen Investitionskosten erstellen, was wiederum die Mietpreise erhöht.

Insbesondere bei Nachverdichtungsprojekten haben diese hohen Neumieten direkt über den Mietenspiegel auch Einfluss auf die Bestandsmieten. In einer spekulativen Gesamtsituation, wird also Bauen zum Teil des Problems und beflügelt so eher noch die Mietpreisspirale.

Gemeinwohlorientierung und Flächensparsamkeit als neuer Maßstab

Die bisherige politische Reaktion, in Form von staatlichen Investitionen und die weitere Reglementierung des Wohnungsmarktes, reichen bei Weitem nicht aus, um eine sozial orientierte, mietenpolitische Wende zu erreichen. Die in Teilen geäußerte Vorstellung, den Schutz von Bestandsmieten durch mehr Rechtsberatung, erweiterte und konsequenter geahndete Mitteilungspflichten für Vermieter:innen oder allein gesetzliche Instrumente wie die Mietpreisbremse politisch lösen zu können - also über die verstärkte Einbindung von Gerichten - ist abseits jeglicher Realität der Mietenden. Auch tun wir uns als Gesellschaft keinen Gefallen, die private Altersversorgung Weniger oder die Renditen internationaler Investmentgesellschaften und Fonds über soziale Dienstleistungen wie etwa das Wohngeld oder andere Zuschüsse dauerhaft aus der Steuerkasse zu subventionieren.

Nach aktuellem Herangehen bedeutet mehr Beton für Berlin vor allem eine noch stärkere Umverteilung von Steuergeld in die Taschen internationaler Investoren, weniger Bürger:innenbeteiligung, weniger Lebensqualität durch mehr Versiegelung und damit weniger Schutz für Umwelt und Klima. Aus sozial- wie klimapolitischem Blickwinkel betrachtet, also ganz klar die falsche Richtung!

Nur eine vernünftige Gesamtpolitik, die auch Elemente außerhalb des Themas Bauen berücksichtigt - wie die Finanzmärkte oder gesellschaftspolitische Aspekte - kann dafür sorgen, die Mietenwende zu schaffen. Dazu gehört insbesondere auch das Stopfen von Steuerschlupflöchern bei Immobiliengeschäften, eine wirkungsvolle Bekämpfung von Zweckentfremdungen und Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentum, eine Beendigung der Spekulation mit Boden und Immobilien durch einen bundesweiten Mietendeckel, eine Bevorzugung gemeinwohlorientierter Formen des Wohneigentums und die Durchsetzung konsequenten Klimaschutzes einschließlich einer Demokratisierung der Energieversorgung zur Sicherung niedriger Wohnnebenkosten. Und nicht zuletzt werden wir über den Verbrauch an Wohnfläche und geeignete Instrumente zu dessen Steuerung reden müssen. 

Der Wunsch nach Vergesellschaftung von Wohnraum, ein fundamentales Recht auf Wohnen und mehr Klimaschutz reicht längst bis tief in die Mitte der Berliner Gesellschaft - der Stadt auf Platz 4 mit den höchsten Wohnungsmietpreisen in Deutschland.

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