Extinction Rebellion: Strukturen, Kritik und Lob der Bewegung

von JK

Dies ist ein Erfahrungsbericht aus der Perspektive eines Mitglieds - dieser Text spiegelt keine offizielle Parteimeinung wider. Was meint ihr - Hat diese Analyse gut getroffen? Schreibt uns an community@klimaliste-berlin.de.

1. Sagt die Wahrheit, 2. Handelt jetzt, 3. Politik neu leben

Die drei Grundprinzipien von Extinction Rebellion, die aus dem britischen Königreich eine weltweite Reise unternahm und Menschen allen Alters unter einem Dach, mit einem Ziel vereinte: Die Kommunikation der Dringlichkeit des Handlungsbedarfes bezüglich des anthropogen befeuerten Klimawandels auf politischer, sozialer sowie gesellschaftlicher Ebene mit konkret formulierten Forderungen: 1. den Klimanotstand ausrufen; 2. sich zu Netto-Null-Treibhausgasemissionen bis 2025 verpflichten; und 3. eine Bürgerversammlung für Klima- und ökologische Gerechtigkeit einrichten, die ihrerseits Gesetze für Maßnahmen zur Erreichung des Netto-Null-Ziels schaffen wird.

Mit einer starken Mobilisierung junger Erwachsener, aber auch älterer Aktivisten, die noch aus der Zeit der „Friends of the Earth“ und Greenpeace-Demonstrationen stammen, soll in der Öffentlichkeit genug politischer Druck erzeugt werden, zu Beginn der Bewegung durch gezielte Massenfestnahmen. Seitdem hat sich einiges bewegt. 

Die Problematik der Erderhitzung wird weitestgehend als solche akzeptiert. Doch scheint sich ein Tuch der Passivität über die Welt zu legen, durch das wir die Krise betrachten, ohne genügend Maßnahmen in Bewegung zu setzen, die sich tatsächlich an den Zielen des Pariser Abkommens orientieren.

Diesen Schleier möchten nun die Aktivisten von Fridays for Future, Extinction Rebellion und Ende Gelände in Deutschland entwirren, um die Politik zum Handeln zu bewegen. Dabei spielt neben herkömmlichen Demonstrationen der zivile Ungehorsam, in Anlehnung an die passive Protestform vieler sozialer Graswurzelbewegungen für soziale Gerechtigkeit, eine große Rolle.

Straßenblockaden, öffentliche Theaterperformances und Kunstinstallationen können Teil dieser Protestform sein (siehe:  zweite Ausgabe von “The Politics of Nonviolent Action” von Gene Sharp; 198 Methods of Nonviolent Action.). Dem Aktivisten mögen all diese Performances, Möglichkeiten der öffentlichen Provokation und friedlichen Form des Protests, himmlisch erscheinen, beinahe wie ein Manifest. Jedoch nimmt die Öffentlichkeit die verschiedenen Aktionen oft anders wahr als intendiert.

Damit kommen wir zu der ersten Problematik der Bewegung. Die langzeitige Aufrechterhaltung/öffentliche Repräsentation einer nicht hierarchischen Bewegung. Die Organisation und Planung von Aktionen erfolgt in dezentralisierten Kleingruppen, die sich untereinander vernetzen. Hierin besteht zum einen, wie vorhin erwähnt, die Schwierigkeit der Aufrechterhaltung dieser Strukturen und zum anderen ist die Verdrängung der natürlichen demokratischen Debatte, die letztendlich ebenso eine Hierarchie schafft, Indikator einer politischen Schwäche innerhalb der Bewegung (M. Fotaki).

Wohlgemerkt gibt es Prinzipien, an die sich jeder halten muss, doch auch hier tritt die Frage nach der subjektiven Interpretation einzelner Individuen und Kleingruppen auf. In Deutschland hat es bis jetzt keine größeren Skandale gegeben, in Großbritannien dagegen sehr wohl. Beispielsweise gab es eine Aktion, bei welcher Aktivisten auf das Dach einer U-Bahn geklettert sind, um so den Verkehr zu behindern und auf die Krise aufmerksam zu machen. Passanten reagierten unter anderem gewalttätig und zerrten Aktivisten auf den Bahnsteig. 

Diese Aktion wurde von der Mehrheit der damals aktiven Aktivisten in Großbritannien abgelehnt und dennoch durchgeführt. Somit hat eine Minderheit den öffentlichen Ruf der Bewegung stark geschädigt.

In der deutschen Öffentlichkeit ist der Ruf der Bewegung als sehr durchmischt zu bewerten. Viele Menschen, darunter auch Pressemitarbeiter, wissen teilweise nicht genau, weshalb demonstriert wird. Forderungen scheinen auf den Internetseiten gut formuliert und nachvollziehbar, jedoch tendieren sie dazu in Aktionen auf der Straße die Klarheit zu verlieren, der es bedarf, um eine demokratische Debatte anzuregen. Daher auch oft die Kritik in den öffentlichen Medien über die “ziellose Radikalität” von Extinction Rebellion.

Somit komme ich zu einem zweiten Problem, welches der britische Journalist Nafeez Ahmed in einen seiner Artikel für Insurge Intelligence konkretisiert. Es besteht das Problem, dass XR seine Vorbilder in Bewegungen findet, die darauf abzielten, ein bestehendes, unübersehbares Regime repressiver Gewalt zu stören, das aktiv Gewalt gegen die Unterdrückten ausübte, die im Zentrum der Bewegung standen. In beiden Szenarien(Gandhi/King) handelte es sich um den Widerstand von People of Color gegen Systeme weißer Vorherrschaft. In beiden Fällen suchten die disruptiven Aktionen, die Kosten der repressiven Gewalt, gegen die sich diese Gemeinschaften wehrten, direkt zu erhöhen.

Sie waren deshalb erfolgreich, weil die Institutionen, die sie unterdrückten, genau die Gewaltinstitutionen waren, die durch massenhafte Störung überwältigt werden mussten, damit Veränderungen eintreten konnten. Und zwar bis zu dem Punkt an dem die Kosten für die Fortsetzung der repressiven Gewalt immer schwieriger aufrechtzuerhalten oder zu rechtfertigen waren.

Dieses Modell lässt sich nicht einfach auf den modernen westlichen Kontext übertragen werden, in welchem die Machtstrukturen weitaus komplexer sind, die Unterdrückung unklarer/unsichtbarer ist und die angegriffenen Institutionen keinen intuitiv offensichtlichen Zusammenhang mit den gestellten Forderungen haben.

Um hier aber nicht in völliger Kritik zu versinken, kann ich mit Gewissheit sagen, dass XR sich als eine der erfolgreicheren, effektiven und gut organisierten sozialen Protestbewegungen der letzten Jahre erwiesen hat und sich sicherlich als eine der effektivsten in Sachen Klimaaktivismus erweist. Es wird definitiv etwas richtig gemacht. Ich für meinen Teil glaube, es ist eine der wichtigsten Bewegungen, die in den letzten Jahren entstanden sind. Vor allem da sie es geschafft hat einen Fokus auf die Klimakrise in der Mainstream Öffentlichkeit zu legen. Ebenso die Debatte um Aktivismus, erhitzt durch Diskussionen verschiedenster Interessenvertreter, gewann an Bedeutung nach bspw. der Rebellion Wave im Oktober 2019.

Ein weiterer positiver Effekt ist meiner Meinung nach die Altersstruktur der Bewegung. Ältere können jüngere Aktivist:innen fördern und umgekehrt. 

Somit hat man viele Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf Protestformen und einen breit gefächerten Austausch, definitiv vielfältiger als bei Bewegungen aus einer demografischen Spalte. 

Um in Zukunft an Effektivität zu gewinnen, sollte Extinction Rebellion eine Diversifizierung durchmachen. Erste Schritte in diese Richtung sind in Deutschland zu finden, und müssen sich Fragestellungen entgegenstellen, wie man durch XR soziale Schichten besser repräsentieren kann, und sie vor allem in den Entscheidungsprozess integrieren kann. Stichworte hier sind: critical whiteness, nowhitesaviours, socialequality for working class people etc. 

Eine weitere Möglichkeit für Extinction Rebellion besteht in der Hinterfragung der nicht-hierarchischen Strukturen. Man sollte sich damit befassen, ob es langfristig nicht sinnvoller ist solche Strukturen einzuführen, damit man eine bessere, “voll demokratische” Organisation gewähren kann, um so Ausbrecher wie jenen in der Londoner U-Bahn zu vermeiden.

Bei genauerer Betrachtung fällt einem auf, dass XR Adressierungen (mittlerweile konkreter geworden) oft gegen zu viele undefinierte Akteure gehen, oder zum Beispiel gegen den Staat gerichtet ist, wobei ich denke, dass man die Problematiken nicht nur in diesem suchen kann. Schafft Extinction Rebellion die Expansion von einer Umweltaktivismusgruppe zu einer kommunikationsbereiten sozialen Bewegung, wofür durchaus Potenzial besteht, so denke ich, dass in Zukunft einiges erreicht werden kann, was nicht nur der Klimakrise entgegenwirkt. Es muss somit ein stärkerer Austausch stattfinden sowie die Akzeptanz der Zusammenarbeit mit verschiedensten sozialen Gerechtigkeitsbewegungen statt der Abwerbung von Mitstreitern etabliert werden. 

Ich persönlich bereue es in keiner Weise bei Extinction Rebellion mitgewirkt zu haben und es auch in Zukunft in Betracht zu ziehen. XR legt sehr viel Wert auf das Wohlsein der Aktivisten und klare, ehrliche Kommunikation. Viele interessante Menschen haben in dieser Zeit durch gute Gespräche, ausgiebige Diskussionen und lockere freundschaftliche Runden beisammen mein Denken geprägt. Dafür bin ich sehr dankbar. 

Was Extinction Rebellion in einen größeren Kontext betrifft, ist es von unglaublicher Wichtigkeit, dass die Bewegung über sich hinauswächst, um vernetzender und diverser zu werden, um somit eine Vielzahl an Problematiken anzugehen, welche auch Teillösungen der Klimakrise sind.

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