Politischer Aktivismus oder aktivistische Politik? - Vom Aktivismus in die Politik

von Kathrin Lehmann

Meine kleine Geschichte mag nicht so außergewöhnlich sein. Viele Leute meiner Generation werden sich darin vielleicht wiederfinden.

Über die Hälfte meines Lebens hätte ich nicht gedacht, dass ich mal auf der Gegenseite der Polizei stehen würde. Oder überhaupt auf einer Gegenseite. Nichtsdestotrotz hatte ich bereits als junger Mensch ein starkes Bewusstsein für Ungerechtigkeiten: Mobbing in der Schule oder eben der progressive Steuersatz, der verhindern würde, dass meine Mutter bei einer höheren Arbeitsstundenanzahl auch mehr verdienen würde. Für mich waren das Probleme, die durch (politische) Bildung gelöst werden könnten. Deshalb war für mich früh klar: Ich möchte einmal in die Politik.

Angekommen in Berlin und nach ein paar Semestern Politikwissenschaften bröckelte jedoch mein Enthusiasmus. Vielleicht war es mein wachsendes Verständnis von globalen Zusammenhängen – wie z.B. die EU in neokolonialer Manier Länder in wirtschaftlicher Abhängigkeit hält oder „führenden“ Auto-Ländern wie Deutschland nichts besseres einfällt, als zur Bekämpfung der Klimakrise von fossil betriebenen Autos auf E-Autos zu wechseln; dass hierbei die Ressourcenfrage vollkommen außer Acht gelassen wird – geschenkt. Vielleicht aber auch negative Erfahrungen mit der Polizei oder eben die für mich fast plötzliche Sichtbarwerdung der Klimabewegung in Europa.

Die Klimakrise ist die vielleicht größte Gerechtigkeitskrise, mit der die Welt bereits zu kämpfen hat und die uns in diesem Jahrhundert noch umtreiben wird. Der Zeitpunkt des Eingreifens, des Stoppens ist allesentscheidend. Keine Regierung hat den Ernst der Lage in entsprechende Politik übersetzt. Demonstrieren, Petitionen schreiben, gar das eigene Verhalten zur Lösung hochzustilisieren war und ist nicht mehr genug, nicht schnell genug. Um die Ohnmacht, die mich im Zuge dessen zu übermannen drohte, zu besiegen, kanalisierte ich meine Frustration in etwas Konstruktives. Und entdeckte im Sommer 2019 eine für mich neue Protest-, vielleicht sogar Lebensform: den Zivilen Ungehorsam (ZU).

Bildet Banden!

Dieser hat eine lange Geschichte, im Zuge derer gesellschaftlicher Wandel häufig befördert wurde. Die zentrale Idee hinter ZU ist: Wenn die klassischen Mittel, die die Demokratie bietet, nicht mehr greifen und politische Entscheidungen klar Menschenleben aufs Spiel setzen (so wie die Folgen des Verbrennens fossiler Brennstoffe), dann wird das Brechen bestimmter Gesetze, die entweder dieses Unrecht unterstützen oder aber in der Abwägung als weniger relevant erachtet werden, legitim. Das kann das Besetzen von Plätzen sein oder eben die Blockade des zerstörerischen Braunkohleabbau mit dem eigenen Körper.

Die Logik ist ganz einfach. Wenn die Politik nicht aktiv wird, dann werden es die Menschen, die sozialen Bewegungen. Bei den Protesten von Ende Gelände oder Sand im Getriebe geht die Aktionsform dabei sogar über die Symbolik hinaus, denn solange besetzt wird, kann ein Kohlekraftwerk nicht weiterlaufen, eine Autobahn nicht weiter gebaut werden. Mindestens ebenso wichtig ist aber, was Aktionen des Zivilen Ungehorsams mit der Öffentlichkeit machen. Sie sorgen dafür, dass bestimmte Themen – in diesem Fall die Klimakrise – in den Fokus rücken und Menschen von deren Wichtigkeit erfahren.

Kathrin Lehmann
Kathrin Lehmann (Foto: Maxi Schlag)

Beim Thema Kohle hat dies funktioniert. So ist auch auf Ende Gelände zurückzuführen, dass sich inzwischen die Mehrheit der Bundesbürger:innen für einen schnellen Kohleausstieg ausspricht. Ziviler Ungehorsam macht aber auch etwas mit jenen, die ihn ausführen. Er ist eine Form von linker Politik, die motiviert und Spaß macht. Die das Gefühl von Empowerment übermittelt, Menschen zusammenbringt, die sich gegenseitig inspirieren und im Moment von Adrenalin, Unsicherheit und Anspannung Solidarität hervorruft. Für mich ist das Ausdruck von Demokratie, die durch den hier geschlossenen Zusammenhalt stärker wird.

Ich habe im Zuge solcher Aktionen tiefe Freundschaften geknüpft mit Menschen, mit denen ich nun auf verschiedenste Art und Weise für die gemeinsame Sache kämpfe. Bei aller Freude über den stärkenden gemeinsamen Moment im Klimaaktivismus war das Jahr 2020 jedoch auch ernüchternd. Am 1. Juli saß ich deshalb mit einem breiten Bündnis von Aktivist:innen vor dem Willy-Brandt-Haus, während andere auf das Konrad-Adenauer-Haus kletterten, um gegen das geplante Kohleausstiegsgesetz – welches die Kohlekraft für fast zwei weitere Jahrzehnte und unter massiver Entschädigung dreckiger Kohlekonzerne weiter erlaubte – zu protestieren.

Es nutze nichts, wir hatten ein Limit erreicht, das Gesetz wurde so beschlossen. Trotz des riesengroßen Klimastreiks im Jahr zuvor, wo über eine Million Menschen allein in Deutschland die klare Forderung nach mehr Klimaschutz formuliert hatten, trotz der bunten Demos und Aktionen des Zivilen Ungehorsams – auf welche wir nicht viel mehr als massive Polizeigewalt als Antwort bekommen haben; die Polizei schützt stets das Eigentum, nicht die Menschen, die sich kapitalistischer Ausbeutung entgegenstellten oder gar von dieser betroffen sind. Für viele, auch mich, war das beinahe der Punkt der Verzweiflung. Was bringen all unsere Rufe, wenn die Politik uns weiter ignoriert?

Politischer Umgang mit Zivilem Ungehorsam

Für mich persönlich war die Klimaliste Berlin bzw. damals radikal:klima die rettende Hoffnung. Es war eine Partei entstanden, die dafür sorgen wollte, endlich die Forderungen der Klimagerechtigkeitsbewegung ins Parlament zu tragen. Ob das nun zusammenpasst, mag sich eine:r nun fragen. Politisches Amt und Ziviler Ungehorsam? Ich denke, in Anbetracht des Zeitdrucks, dem wir uns alle vor dem Hintergrund der Klimakrise ausgesetzt fühlen, muss jedes Mittel, das sich im Rahmen des demokratischen Zusammenlebens – und ja dazu gehört ZU – befindet, genutzt werden.

Die Politik muss weiterführen, was Aktivist:innen auf die Straße bringen – auch um zu verhindern, dass sich diese vollends verausgaben. Der Druck darf und muss von der Straße kommen, er muss dann aber auf gewählten Politiker:innen liegen und in Handlungen umgesetzt werden. In Wahlkampf-Zeiten wird jedoch auch der Umgang mit Aktivist:innen zum Politikum. Wir beobachten insbesondere im konservativen Lager eine zunehmende Verschärfung der politischen Forderungen gegen diese demokratischen Proteste.

Dem liegt die vor allem auch im Verfassungsschutz gängige sogenannte Hufeisentheorie zugrunde, welche „Rechtsextremismus“ und „Linksextremismus“ als gefährliche Pole im Gegensatz zu einer vorgeblich demokratischen Mitte darstellt. Diese angebliche Gefahr von Links rechtfertigt unter dem Deckmantel von Demokratie (laut baden-württembergischem CDU-Innenminister Thomas Strobl) den Vorstoß gegen die Anonymität von Aktivist:innen oder das längere Festhalten in Gefangenensammelstellen. Nicht berücksichtigt wird hier jedoch, dass Aktivist:innen gerade deshalb ihre Identität nicht preisgeben, um sich vor repressiver behördlicher Gewalt, Angriffen von rechts oder Einschüchterung durch Großkonzerne zu schützen. Ein weiteres Beispiel ist der Versuch des CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet, in Nordrhein-Westfalen die Hürden für Demonstrationsverbote zu senken, indem u.a. die für Ende Gelände charakteristischen Maleranzüge mit Verweis auf Ähnlichkeit zu SS- und SA-Uniformen untersagt werden sollen.

Gerade deshalb ist es auch für linke politische Kräfte wichtig, sich klar gegen die Kriminalisierung von legitimen Protesten zu positionieren und sich mit den aktivistischen Gruppen, die für eine klima- und sozial gerechte Welt eintreten, zu solidarisieren. Die parlamentarische Begleitung von Demonstrationen – häufig der einzige Schutz für Aktivistis vor polizeilicher Willkür – muss deshalb mit Rechtsschutz für Abgeordnete abgesichert sein, um Immunitätsaufhebungen wie im Fall von MdB Lorenz Gösta Beutin zu verhindern.

Ich habe anfangs von meiner Generation gesprochen. Ob sich diese jetzt in Altersstrukturen wiederfindet oder gemeinsamen Überzeugungen, ist letztlich egal. Was ich jedoch beobachte, ist, dass sich viele Menschen nicht mehr von herkömmlichen Verbänden oder traditionellen Parteistrukturen abgeholt fühlen. Trotzdem haben wir radikale Forderungen nach Veränderungen, die politische Umsetzung brauchen. Proteste des Zivilen Ungehorsams machen nur Sinn, wenn sie politisch gespiegelt werden. Lasst es uns gemeinsam angehen!

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