Was macht der Senat aus den Ergebnissen des Klima-Bürger:innenrats?

von Stephan Führ

Ein klares Bekenntnis für mehr Klimaschutz in Berlin – aber kaum jemand spricht darüber

Als der erste Berliner Klima-Bürger:innenrat (KBR) Ende Juni vergangenen Jahres seinen Gutachtenbericht vorlegte, war die Politik voll des Lobes. Wie der Senat aber im Weiteren mit den darin enthaltenen Empfehlungen zu einer Klimapolitik nach den Vorstellungen der Berliner:innen umgehen würde, war zu diesem Zeitpunkt noch völlig unklar. Nun - am kommenden Donnerstag (19. Januar 2023) - sind der Klima-Bürger:innenrat und seine Empfehlungen erstmals wieder Gegenstand einer Besprechung des Ausschuss für Umwelt, Verbraucher- und Klimaschutz im Berliner Abgeordnetenhaus. Sehr wahrscheinlich wird es in diesem Rahmen auch eine Anhörung der Senatsverwaltung zu deren Stellungnahme in Bezug auf die Berücksichtigung der Empfehlungen im Rahmen der Novelle des Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK 2030) geben. Zum neuen Entwurf des BEK 2030, hatten wir bereits vergangene Woche in unserem Blog ein kurzes Statement abgegeben.

Anders als durch die Politik immer wieder suggeriert (zuletzt am 13.01. durch Franziska Giffey im taz Wahltalk in der taz-Kantine), geht die Einberufung des KBR nicht auf den Senat selbst, sondern auf die Initiative Klimaneustart Berlin zurück, die im November gerade wieder mit der Erreichung des Quorum zum Volksentscheid Berlin 2030 klimaneutral einen Erfolg feiern konnte. Für den Klima-Bürger:innenrat wurden damals im Rahmen einer Volksinitiative mehr als 32.000 Unterschriften gesammelt. Noch rechtzeitig vor den Wahlen 2021 stimmte der damalige Senat dann der Einberufung des KBR zu. Ende April 2022 war es schließlich soweit. Der Klima-Bürger:innenrat nahm seine Arbeit auf. Dessen Verlauf und seine Ergebnisse sind auf einer eigens dafür eingerichteten Webseite dokumentiert (die Ergebnisse sind leider nur etwas versteckt im dortigen Downloadbereich zu finden).

Nun also geht es mit der eingangs erwähnten Ausschusssitzung endlich in die politische Debatte. Diese steht im Zeichen des vom Senat ehemals gegebenen Versprechen, die Vorschläge des Klima-Bürger:innenrat bei der Novelle des BEK 2030 zu berücksichtigen. Leider ergab sich zwischendurch immer wieder das Gefühl, man müsse den Senat daran erinnern. Am 20. Dezember dann die Pressemeldung, dass der Senat 31 der 47 Empfehlungen im BEK 2030 aufgreifen wolle, und 12 weitere teilweise. Jede Partei wird dazu nun ihre ganz eigene Interpretation liefern. Als Klimaliste Berlin wünschen wir uns natürlich, dass die Berliner:innen die darauf folgende Debatte ganz genau verfolgen werden. Wer die Liveübertragung der Sitzung verpasst, kann sich diese auf einem eigenen Video-Kanal des Abgeordnetenhauses nachträglich ansehen.    

Nun ist sicher schon die Spannung groß, was wir als Klimaliste Berlin im Einzelnen über die Stellungnahme des Senats denken. Soviel vorweggenommen: Wir können die Empfehlungen des KBR natürlich sehr viel freier interpretieren als der Senat selbst, der ja dabei auch immer in der Rechtfertigung seiner Arbeit steht. Uns geht es dennoch nicht darum, dies nun einfach als Chance zur politischen Abrechnung zu nutzen, so wie dies vielleicht einige der Oppositionsparteien versucht sein könnten, die ansonsten jedoch nicht durch besonders ambitionierte Beiträge zum Klimaschutz in Erscheinung treten. Denn dies würde der geleisteten Arbeit der im Klima-Bürger:innenrat versammelten Menschen nicht gerecht. Sie verdient vielmehr unser aller Respekt und aufrichtige Unterstützung.

Was dennoch erwartbar war: Unsere Bilanz fällt insgesamt deutlich pessimistischer aus als jene des Senats (Abb. 1). Der Grund dafür erschließt sich praktisch bereits über eine Auseinandersetzung mit den vier vom KBR formulierten Leitsätzen, die er seinen Empfehlungen vorangestellt hat. Der Senat hat davon in seiner Einleitung zur Stellungnahme nur den ersten mit den Worten aufgegriffen:

"Dabei teilt der Senat die Grundüberzeugung, die die Mitglieder des Klimabürger:innenrats […] als Leitsatz vorangestellt haben: Klimaschutz ist eine Aufgabe von oberster Priorität, die zügig, entschlossen und sozial gerecht umgesetzt werden muss."

Da wir bekanntermaßen schon länger infrage stellen, dass der Senat mit der Zielsetzung klimaneutral in 2045 die richtigen Prioritäten setzt und entsprechend zügig und entschlossen am Thema Klimaschutz arbeitet, fällt eben auch unsere Bewertung zum Maß der im BEK aufgegriffenen Empfehlungen deutlich kritischer aus.

Bewertungsergebnis zur Abbildung der KBR-Empfehlungen im BEK 2030
Abb. 1: Bewertungsergebnis zur Abbildung der KBR-Empfehlungen im BEK 2030

Der Klima-Bürger:innenrat fordert tatsächlich in vielen seiner Empfehlungen ein beherztes und schnelles Handeln. In der Interpretation des Senats wird dem leider oft nur mit sehr viel niedrigerer Priorität Rechnung getragen. Deutlich wird diese Diskrepanz z.B. bei Empfehlung zur emissionsfreien Innenstadt, bei der Energie- und Wärmewende oder der Vermeidung zusätzlicher Flächenversiegelung. Letztere sieht der Senat ganz selbstbewusst z.B. mit seinem Netto-Null-Flächenziel in 2030 erfüllt. Leider würden bis dahin auf Berliner Baustellen noch viele zusätzliche Fakten geschaffen werden.  

Darüber hinaus finden sich weitere Verweise auf Maßnahmeninhalte des BEK, bei denen man auf Senatsseite auf Entscheidungen im Bund hinwirken will. Dies dann aber leider nicht immer stringent. Z.B. beim Thema A100, wo man sich zwar nicht aktiv dafür, aber eben auch nicht so richtig aktiv dagegen einsetzen will. Vor allem aber fehlen den entscheidenden Maßnahmen im BEK oft genug konkrete Zielzuweisungen und geeignete Kriterien zur Erfolgskontrolle. Die vom Klima-Bürger:innenrat eingeforderte Konsequenz im Handeln, wie etwa beim Solarausbau, der Umsetzung einer Zero-Waste-Strategie oder der Mobilitätswende, wird so über die meisten Maßnahmen des BEK nicht abgebildet. Entsprechend abweichend fällt unsere Bewertung zur Abbildung der Empfehlungen im BEK-Maßnahmenkatalog aus (Abb. 2).

Detailvergleich der Bewertungen zur Abbildung der KBR-Empfehlungen im BEK 2030
Abb. 2: Detailvergleich der Bewertungen zur Abbildung der KBR-Empfehlungen im BEK 2030

Ein vollständiges Bild ergibt sich unserer Meinung dennoch erst über einen Abgleich der Empfehlungen des KBR in Hinblick auf die Realpolitik. Denn die Erfahrungen mit dem vorherigen Umsetzungszeitraum des BEK (2017-2022) haben gezeigt, dass die durch die Senatsverwaltung erstellten Wortlaute in der Regel viel Interpretationsspielraum lassen. Dieser Spielraum ist meist genau dort besonders groß, wo eine Umsetzung technisch oder gesellschaftlich fordernd wird. In den kommenden Tagen werden wir diese Einordnung hier noch in einem separaten Bericht nachliefern.

Der weitere Prozess der Beschlussfassung zum BEK 2030 im Abgeordnetenhaus wird jedenfalls erst nach der Wahl am 12. Februar so richtig Fahrt aufnehmen. Wir hoffen sehr, dass hierüber - und auch darüber, dass inzwischen lauter und intensiver darüber geredet wird - noch klare Nachbesserungen am Maßnahmenkatalog des BEK möglich werden. Zusammen mit der Klimagerechtigkeitsbewegung arbeitet die Klimaliste Berlin dazu gerade auch an einem offenen Brief, für den weitere Unterstüzung gern willkommen ist.

Abschließend hoffen wir sehr auf ein Angebot seitens des Senats, wie das Instrument des Klima-Bürger:innenrat erhalten bleiben und weiter verbessert werden kann. Es könnte zukünftig idealerweise direkt in den Prozess zum BEK eingebunden werden, ohne dabei jedoch andere Formen der Beteiligung zu beschneiden.

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