Berlin stärken – Power to the People

Wahlprogramm 2023 Kapitel 4

Volksentscheide stärken

Unsere Stadt ist hektisch, laut und dreckig. Die Verwaltung ist kaputtgespart, viele öffentliche Gebäude sind baufällig. Unzählige Wohnungen gehören anonymen Finanzakteur:innen und Spekulant:innen. Die Krankenhäuser sind überfüllt und überfordert. Kurz: Die Bürger:innen dieser Stadt sind lange aus dem Blick geraten. Veränderung jetzt! Umdenken sofort! Berlin muss endlich aufatmen! Dazu besinnen wir uns auf das, was unsere Stadt im Wesen ausmacht: Berlin – das sind die Menschen. Wir sind eine Stadt der Kieze, der Märkte, der kleinen Händler:innen, der Flaneur:innen und Müßiggänger:innen, der individuellen Lebensentwürfe, der kleinen und der großen Freiheiten. Und das alles bedeutet: Teilhabe, Mitbestimmung – für alle, so umfassend wie möglich.

Dazu ändern wir Regeln: Wir schaffen mehr direkte Demokratie, damit die Bürger:innen nicht nur alle paar Jahre ihre Stimme „abgeben“ dürfen. Alle in Berlin wohnenden Personen sollen an Abstimmungen und Wahlen teilnehmen können, unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft. Die für Volksinitiativen und -begehren benötigte Anzahl an Unterschriften wird reduziert, die Fristen werden verlängert. Digitalisierung nutzen wir zum Abbau von Barrieren und für einfacheren Zugang. Wir vereinfachen die Durchführung von Volksentscheiden und machen es der Politik schwerer, erfolgreiche Entscheide aufzuweichen.

Direkt und demokratisch

Bürger:innenräte werden zum festen Bestandteil der Berliner Politik auf Landes- und Bezirksebene. Als Teilnehmer:innen wird ein repräsentativer Querschnitt der Berliner Bevölkerung ab 14 Jahren ausgelost. Wichtig dabei: Die Entscheidungen der Räte werden politisch verbindlich und können von Senat und Bezirken nicht einfach ignoriert werden. Sollten die politischen Gremien diese Entscheidungen nicht umsetzen wollen, kommt es zu einer berlin- bzw. bezirksweiten Volksabstimmung. Aktive Teilhabe der Bürger:innen muss gestärkt werden. Denn die Menschen Berlins wissen am besten, was gut ist für ihre Stadt. Und gerade in einer wichtigen Zeit der Transformation, wie wir sie heute erleben, muss ihre Stimme gehört werden. Um die Umsetzung von Bürger:innenentscheidungen langfristig sicherzustellen, wird es in Zukunft eine:n Landesbeauftragte:n für Demokratieentwicklung geben. Die Stelle dient der zentralen Koordination und Förderung von Bürger:innenbeteiligung sowie als Ansprechpartner:in für alle Demokratieanliegen von Bürger:innen.

Who run the world? Girls*!

Klimagerechtigkeit bedeutet das Ende von patriarchalen Strukturen. Nicht nur die Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen sind paritätisch besetzt, sondern auch Vorstände, Entscheidungsgremien und Parlamente. Bei der Vergabe öffentlicher Gelder und Forschungsförderung werden paritätisch besetzte Unternehmen und Institutionen bevorzugt. Entscheidungen, die durch nicht paritätische Gremien getroffen wurden, sind anfechtbar.

Mein Körper, meine Entscheidung: Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist ein uneingeschränktes Recht. Hygiene- und Verhütungsprodukte werden in Berlin kostenlos vergeben. Ungewollt schwangere Menschen haben umfassenden und barrierefreien Zugang zu Informationen über Schwangerschaftsabbrüche und Beratungsleistungen. Die Regelungen dazu sind eindeutig formuliert und gehören zur Gesundheitsvorsorge. Die Entscheidung über Schwangerschaftsabbrüche ist der Kontrolle des Staates entzogen. § 218 und § 219a werden aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Ungenutzte Eizellen aus Reproduktionsprozessen infertiler Paare können als Spende zur Verfügung gestellt werden.

Kinder an die Macht

Klima bedeutet Zukunft. Mitbestimmung muss darum auch für jene Menschen möglich sein, die die Konsequenzen unserer jetzigen Entscheidungen tragen werden. Wir stehen für Generationengerechtigkeit und für die Absenkung des aktiven Wahlalters auf 14 Jahre bei Wahlen zum Deutschen Bundestag, zum Berliner Abgeordnetenhaus und für Bezirksverordnetenversammlungen. Berlin setzt sich auf Bundesebene für entsprechende Gesetzesänderungen ein. Um die gesamte Bandbreite der Möglichkeiten zu erschließen, lassen wir zudem eine unabhängige Studie durch das Land Berlin durchführen. Sie dient der Entwicklung von geeigneten Maßnahmen zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in allen für sie relevanten Lebensbereichen.

Die Verwaltung auf der guten Seite der Macht

Nur mit einer starken und effizienten Verwaltung können wir die Herausforderungen der Klimakrise meistern. Unsere öffentliche Verwaltung wurde von den Berliner Regierungsparteien über Jahrzehnte systematisch kaputtgespart. Unklare Kompetenzen, Personalmangel, Privatisierung hoheitlicher Aufgaben resultieren in einem beispiellosen Image- und Effizienzverlust. Damit muss Schluss sein. Berlin braucht eine starke, von einem neuen Selbstbewusstsein getragene Verwaltung, die sich als Unterstützerin der Menschen dieser Stadt versteht. Dazu gehört nicht zuletzt auch die Stärkung von Motivation und Initiative der Menschen, die in der Verwaltung arbeiten. Eine angemessene Bezahlung ebenso. Und eine Ausstattung, die in das 21. Jahrhundert passt.

Vorbehalt fürs Klima

Klimagerechter Stadtumbau braucht angemessene und zielgerichtete Steuerung. Prozesse und Amtsgänge werden wir aus Bürger:innensicht neu gestalten, entschlacken und konsequent digitalisieren. Dadurch werden sie einfacher und zugänglicher. Das macht die Bearbeitung leichter, schneller und sorgt für mehr Transparenz gegenüber den Bürger:innen, die in zahlreichen Planungsverfahren der Stadt weit stärker als bisher basisdemokratisch beteiligt sind. Alle Entscheidungen der Verwaltung haben eine klare Prämisse: das Berliner Klima. Sämtliche Entscheidungen stehen unter einem „Klimavorbehalt“, um auf diese Weise Effizienz und Nutzen für Stadt, Umwelt und Gesellschaft zu prüfen und gegebenenfalls nach besseren Alternativen zu suchen.

Verwaltung als Vorbild

Zudem hat die Verwaltung Vorbildfunktion. Der gesamte Fuhrpark wird auf 100 % klimaneutrale Antriebe umgestellt. Gebäude und Büroflächen werden mit Strom und Wärme aus erneuerbaren Energiequellen versorgt, Dachflächen für Photovoltaik genutzt. Auch die Finanzen müssen endlich nachhaltig gestaltet werden. Das Land Berlin ist Kunde bei der Postbank und der Sparkasse-Landesbank, die beide in Kohlekraft und Rüstung investieren. Wir beenden diese Unverantwortlichkeit! Berlin führt seine Konten zukünftig bei sozial-ökologischen Banken. Außerdem führt die Verwaltung einen CO2-Schattenpreis in Höhe der Folgekosten von derzeit 195 € ein. Somit werden die tatsächlichen Klima- und Umweltkosten in jegliche Investitions- und Kaufentscheidungen des Landes Berlins mit eingepreist.

Transparenz für Berlin

Wir setzen uns für radikale Transparenzgesetze ein. Der Volksentscheid Transparenzgesetz gibt dafür bereits eine Richtung vor, die klar über den Senatsvorschlag hinausweist. Die Arbeit von Politik und Verwaltung muss „gläsern“ werden. Eingerichtet wird dafür unter anderem ein Portal, in dem Informationen landeseigener Unternehmen öffentlich einsehbar sind. Verträge ab 100.000 Euro zwischen öffentlich-rechtlichen Körperschaften oder staatlichen Institutionen und der Privatwirtschaft lassen sich dann nachlesen. Gleichzeitig werden damit alle Informationsauskünfte gebührenfrei. Die neue Offenheit senkt die bisherige Menge an öffentlichen Anfragen an die Verwaltung drastisch. Das reduziert Widersprüche und Klagen. Die freigesetzten zeitlichen und personellen Ressourcen kommen dem Tagesgeschäft – und uns allen – zugute.

Lenkungskompetenz per Gesetz

Die Novelle des Bezirksverwaltungsgesetzes ist eine klimapolitische Bankrotterklärung. Statt „Zielvereinbarungen“ verlangen wir konkrete Maßnahmen. Das „Umwelt- und Naturschutzamt“ muss als eigener feststehender Geschäftsbereich auf Bezirksebene eingerichtet werden. Es wird mit den nötigen Kompetenzen ausgestattet, um nachhaltige, schnelle, passende und bezirksübergreifende Lösungen für eine klimagerechte Stadt zu erwirken. Jeder Bezirk erhält ein Team aus Klimaschutzbeauftragten mit klaren Richtlinien, mehr Kompetenz und ausreichend Personal.

Lokal handeln, vernetzt denken

Wir müssen über den Tellerrand schauen. Berlins klimagerechter Stadtumbau braucht zahlreiche neue Kooperationen. An erster Stelle steht Brandenburg. Die Wirtschaft und die dort ansässigen Institutionen werden auf allen Ebenen eingeladen, am Berliner Energiewendeprozess teilzuhaben. Schon jetzt verbindet Berlin und Brandenburg eine enge Partnerschaft auf Verwaltungsebene. Weitere Sektoren sollen folgen: Lebensmittel, Transport, Industrie, Bildung, Stadt- und Regionalentwicklung, Erholung, Umweltschutz, Wasser, Luft – aber auch die politische Verwaltung. Diese neue Symbiose wird Vorbild für weitere Partnerschaften. Mit benachbarten EU-Ländern und anderen Vorreitern des Klimaschutzes tauschen wir Erfahrungen aus und entwickeln gemeinsam nachhaltige Ideen. Denn Fortschritt gelingt nur im Dialog.

Wirtschaft für Menschen und Klima

Digital-nachhaltige Modellstadt

Die umfassende Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft begreifen wir als Chance, unser Miteinander integrativer, sozialer und nachhaltiger zu gestalten. Hierfür gehen wir wesentliche Herausforderungen an, die im politischen Berlin bisher vollständig ignoriert wurden. Durch den Aufbau eines freien und offenen WLAN-Netzes innerhalb des S-Bahn-Rings dämmen wir den doppelten Netzausbau (mobil und kabelgebunden) ein. Im gesamten Stadtgebiet entsteht so eine sozial gerechte, kommunalisierte Breitband-Internetversorgung. Wir schaffen mit datenschutzorientierten und energieeffizienten Rechenzentren Unabhängigkeit von den (Markt-)Interessen außereuropäischer Akteur:innen. Und wir setzen uns für die Realisierung einer digitalen selbstbestimmten Identität (SSI) der Bürger:innen ein.

Existierende und neu geplante Datenzentren werden unmittelbar in den Wärmekreislauf der Stadt eingebunden. So nutzen wir die Abwärme und reduzieren den Energieverbrauch. Wir realisieren ein enges Monitoring der Rebound-Effekte von Digitalisierungsmaßnahmen und fördern die Anschaffung und den Betrieb von digitalen Endgeräten aus möglichst nachhaltiger Produktion. Der Erwerb wiederaufbereiteter Geräte ist einem Neukauf vorzuziehen. Berliner Unternehmen sollen regelmäßig Auskunft geben über die Energieeffizienz ihrer Produkte und Services und über den Grad ihrer „Dematerialisierung“, also der Abhängigkeit von physikalischen Produkten, wie Papier oder fossilen Ressourcen. Zudem wollen wir Möglichkeiten untersuchen, wie Berlins Betriebe ihre Bemühungen hin zum klimapositiven Wirtschaften transparent und fair messen können und wie das Land diese Bemühungen angemessen wertschätzen und fördern kann. Wir positionieren uns gegen jede Form von (immer energiehungriger) Überwachungstechnologie und Vorratsdatenspeicherung. Die Einführung solcher Maßnahmen bekämpfen wir vehement.

Zebras statt Einhörner

Berlin muss seine Attraktivität und Anziehungskraft nutzen, um vorrangig soziale und nachhaltige Geschäftsmodelle zu fördern. Social Entrepreneurs und nachhaltige Initiativen finden in Berlin ab sofort alle nötigen Voraussetzungen, um mit voller Unterstützung zu starten, um sich effektiv zu vernetzen und um mit maximalen Auswirkungen zu handeln. Wir begründen einen „Social Impact Fonds“, aus dem gemeinnützige Unternehmen und Initiativen mit dem Fokus auf Gemeinwohl und Klimagerechtigkeit gefördert werden. Wir folgen dabei dem Beispiel von „Nesta“ in Großbritannien, das unter anderem auf sogenanntes nachrichtenloses Vermögen zurückgreift: dem unabgerufenen Kontoguthaben von Verstorbenen ohne Erb:innen.

Wir unterstützen die Bestrebung zur Begründung neuer, nachhaltiger Unternehmensmodelle (z. B. im sogenannten Verantwortungseigentum). Auch werden wir das Konzept der alternativen „Wirtschaftsförderung 4.0“ des Wuppertal Instituts großflächig umsetzen, um lokale und kleinräumige, nachhaltige Wirtschaftskreisläufe zu fördern. Wir unterstützen die entsprechenden Initiativen zur Schaffung geeigneter rechtlicher Grundlagen. Wir werden außerdem umfassende Schnittstellen in den Bereichen von Verwaltung und öffentlicher Infrastruktur schaffen, die eine Einbeziehung von und Zusammenarbeit mit der Berliner Wirtschaft, insbesondere Social Startups, sowie unabhängigen Expert:innen ermöglichen. Dabei ist ein konsequenter Fokus auf der Nutzung von Open Source Soft- und Hardware obligatorisch, damit unabhängige Expert:innen jederzeit Einblick in Energieeffizienz und Sicherheit erhalten und an der Weiterentwicklung von digitalen „Public Services“ mitwirken können. Wir wollen außerdem Inkubatoren für Systeminnovation zur Nutzung der oben genannten Schnittstellen und zur Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Grundlagen des städtischen und weltweiten Zusammenlebens schaffen.

Ein anderer Tourismus

Wir vermissen die Gäste in unserer Stadt. Billigflüge, Amok-Shopping und Airbnb-Hausierer vermissen wir hingegen nicht. Nach dem Ende der Pandemie braucht es einen Neustart für den Berliner Fremdenverkehr. Die Konzepte des Senats für einen „nachhaltigen Tourismus“ entsprechen dabei weder den Bedürfnissen der Branche noch der betroffenen Bürger:innen der Stadt.

Wir wollen die gewerbliche Zweckentfremdung von Wohnraum untersagen und Verstöße konsequent ahnden. Statt internationaler Konzerne und Ketten soll das lokale Gewerbe von unseren Gästen profitieren: kleine Pensionen und Hostels, familiäre Restaurants, Gespräche vor dem Späti im Kiez. So zeigen wir den Reisenden die Einmaligkeit unserer Stadt – mit gut bezahltem Personal und sicheren Jobs in Hotellerie, Gastgewerbe und bei Stadtführungen. Zum innerstädtischen Bewegen nutzen Gäste den ÖPNV. Die Kosten dafür werden über eine klimabezogene Erweiterung der 2014 eingeführte City Tax gedeckt, gestaffelt nach Anreise-Verkehrsmittel und Aufenthaltsdauer in unserer Stadt.

Vor allem aber braucht es ein Gesamtkonzept, um „Overtourism“ in Zukunft auszuschließen. Politik, Stadtgesellschaft und Tourismusbranche müssen dafür eine gemeinsame Perspektive entwickeln. Wir sind überzeugt: Eine gesunde Schrumpfung des Sektors ist für alle Beteiligten das Beste.

Rettungsplan für Kunst, Kultur und Clubs

Die Pandemie hat Berlins Kunst-, Kultur- und Clubbranche bis ins Mark getroffen. Über ein Jahr Lockdown hat die einst lebendige Szene der Stadt ausgezehrt. Höchste Zeit, diese kreative Kraft zu erneuern. Kultur muss wieder ihre zentrale Bedeutung zurückerhalten: als Teil des klimagerechten und sozialen Stadtumbaus und als Bildungsbaustein für die Bewohner:innen der Stadt und unserer Gäste.

Die Corona-Rettungsprogramme haben einen großen Teil unserer Kulturszene vergessen. Wir solidarisieren uns mit diesen Menschen und kämpfen aktiv für konkrete Hilfen. Wir bringen einen Rettungsplan für den gesamten Kulturbereich auf den Weg, mit Schwerpunkt auf der freien Szene, den Galerien und der Berliner Clubkultur. Ein Gesamtkonzept für den Neustart wird unter aktiver Beteiligung der Branche partizipativ erarbeitet. Dabei müssen die Bedürfnisse aller Berufsgruppen berücksichtigt werden.

In Zukunft wird nicht projektabhängige, sondern nachhaltige strukturelle Förderung im Mittelpunkt stehen. Kultur ist systemrelevant!

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