Aufstand der letzten Generation

von Elvira Hanemann

Wie stehen wir zum „Aufstand der letzten Generation“?

Es gibt in unserer Partei noch keine Beschlusslage zu dieser Frage, sie wird diskutiert und es scheint klar zu sein, dass es Sympathien zu dieser Bewegung gibt, aber in genau welcher Form ist noch im Gespräch. Deshalb möchte ich klarstellen, dass ich hier für mich selbst spreche, um eine Diskussionsvorlage zu bieten.

Wer ist der „Aufstand der letzten Generation“?

Bereits letztes Jahr trat diese Gruppierung durch den Hungerstreik in Berlin, der letztendlich Gespräche mit Annalena Baerbock und mit Olaf Scholz durchgesetzt hatte, an die Öffentlichkeit.

Nun besetzen sie seit Wochen Autobahnzufahrten und Straßen, nicht nur in Berlin, sondern in mehreren Städten. Eine Aktion vor dem Kanzleramt, bei der Kartoffeln angepflanzt wurden und eine weitere vor dem Landwirtschaftsministerium folgten.

Eines ist klar: diese Formen des gewaltfreien Widerstands erregen viel Aufmerksamkeit und werden heiß und sehr kontrovers diskutiert. Nicht ganz so klar ist, ob die Aufmerksamkeit sich in erster Linie auf die Straßenblockaden richtet oder auch auf das dahinterliegende Thema.

Denn die Blockierer fordern Konkretes: ein Gesetz, das Firmen und Geschäfte dazu verpflichtet, ihre Lebensmittelreste nicht mehr einfach in den Müll zu werfen, sondern sie zu spenden. 

Ein sehr vernünftiges Gesetz, das auch in anderen Ländern bereits umgesetzt wird, es gibt keinen vernünftigen Grund, der dagegen spräche.

Doch warum soll gerade ein solches Gesetz so immens wichtig sein, dass die Menschen vom „Aufstand der letzten Generation“ sich an Straßen kleben, riskieren geschlagen zu werden evtl. sogar überfahren zu werden? Dass sie bereit sind, dafür in Haft zu kommen und Gesetzesstrafen auf sich zu nehmen?

Wegen eines Lebensmittelrettungsgesetzes? Das kann nicht der einzige Grund sein – und er ist es auch nicht!

Dahinter steht die konkrete – und leider sehr realistische – Angst vor der drohenden Klimakatastrophe. Die Überproduktion von Lebensmitteln, der unglaublich verschwenderische Umgang damit, der dazu führt, dass immense Mengen hergestellt werden und dann wieder weggeworfen werden, ist klimaschädlich. Für jedes Brot, für jede Kartoffel wird Energie verbraucht, wird Wasser verbraucht, werden Anbauflächen gebraucht, Transportmittel um die Produkte in die Läden zu bringen, Verpackungsmüll entsteht. Und wofür? Dafür dass 18 Millionen Tonnen an Lebensmitteln pro Jahr in Deutschland in die Tonne geworfen werden, was laut einer WWF – Studie fast einem Drittel des aktuellen Nahrungsmittelverbrauchs von 54,5 Millionen Tonnen entspricht.

Es ist also klar, dass dieses Gesetz einen großen Impact auf die Klimakrise hätte.

Ebenso wie ein Gesetz, das Massentierhaltung verböte – oder ein Gesetz, das ein Tempolimit auf deutschen Straßen durchsetzte. Oder ebenso wie ein Gesetz, das Hausbesitzer zum Einbau einer Photovoltaikanlage verpflichtete.

Die Forderungen des Aufstands der letzten Generation sind also sinnvoll, doch sie zeigen auch nur einen Teilaspekt. Es ist möglich und sogar wahrscheinlich, dass sich die Forderungen auf andere Gebiete ausweiten.

Doch die Frage, die sich stellt: nutzen diese Aktionen dem Ziel oder schaden sie vielleicht sogar?

„All news are good news“ – so stimmt das sicher nicht, denn es kann ja nicht das alleinige Ziel sein, in der Zeitung zu stehen, ins Fernsehen zu kommen und Aufmerksamkeit zu generieren, es kann nur ein erster Schritt sein. Dieser erste Schritt ist auf alle Fälle gelungen!

Doch was, wenn diese Aktionsformen die Mehrheit der Menschen eher abschrecken? Wenn sie „die Falschen“ treffen? Wenn die öffentliche Meinung sich total gegen sie wendet? Wenn sie als „verrückte Spinner“ abgetan werden, wenn sie das dahinterstehende Anliegen sogar diskreditieren sollten?

Ich weiß, dass viele Menschen die Klimakrise als real ansehen, dass sie gerne etwas dagegen tun würden, einige davon das auch wirklich im Rahmen dessen was ihnen möglich ist, tun – und dass sie trotzdem keinerlei Verständnis für diese Aktionsformen haben. Dass schon der Name „Aufstand der letzten Generation“ in ihren Ohren fürchterlich pathetisch und übertrieben klingt. Auch dass „verbotene“ Aktionsformen gesetzestreuen Bürger:innen unsympathisch sind, ihnen Angst machen und sie eher wieder in Richtung „mit denen will ich nichts zu tun haben“ treibt.

Doch ich weiß auch, dass Aktionsformen wie angemeldete Demonstrationen, Leserbriefe schreiben, Petitionen einreichen, Unterschriften sammeln oder – wie wir das getan haben – Parteien gründen,  vielen Menschen einfach nicht mehr reichen. Denn: der Erfolg dieser Protestformen ist eher langfristig angelegt und so sehr viel Zeit haben wir in Wirklichkeit nicht mehr, um die Klimakatastrophe abzuwenden.

Von daher ist meine persönliche Meinung, die ich hier zur Diskussion stelle:

Jede Form des gewaltfreien zivilen Widerstands ist legitim! Die Betonung liegt auf „gewaltfrei“, das deutlich zu machen, ist mir immens wichtig.

Ob der Widerstand immer legal ist, ist eine andere Frage.  Auch ob Festkleben auf Straßen für jede:n Klimaaktivist:in die richtige Form ist, sei dahingestellt. Für mich ist es nicht die passende Form. Aber diejenigen, die das tun, wissen auch, dass sie dafür juristisch belangt werden können und nehmen das Risiko in Kauf. Bei allen großen gesellschaftlichen Veränderungen waren auch immer radikalere Formen des Protests im Spiel. Auch das Frauenwahlrecht wurde nicht nur mit angemeldeten Demos erreicht. 

Deshalb: so lange keine Menschen gefährdet werden (dazu ein kurzer Einwurf zu dem immer mal wieder hörbarem Argument, dass Feuerwehren und Sanitäter nicht durchgelassen würden. Die auf der Straße sitzenden Aktivisti haben extra bei den in der Mitte sitzenden die Hände n i c h t auf die Straße geklebt, damit sie schnell eine Rettungsgasse frei machen können) – und solange diese Aktionen gewaltfrei bleiben, verdienen sie unsere Solidarität!

Gestehen möchte ich aber auch, dass mir die Kartoffelpflanzaktion sehr viel sympathischer und zielgerichteter erscheint und mir selbst viel eher entspricht. Aber: ob sie alleine auch so große Aufmerksamkeit bekommen hätte und es überhaupt in die Medien geschafft hätte, das bezweifle ich.

Über Diskussionsbeiträge dazu würde ich mich freuen!

Elvira

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